taz.de -- Urlaub nach Autobahn-Blockade: Klimagrüße von Bali

Aktivist*innen der „Letzten Generation“ flogen in den Urlaub nach Bali, statt zu ihrem Prozess zu kommen. Dürfen sie das? Ein Pro und Kontra.
Bild: Traumziel ohne schlechtes Klimagewissen? So schön ist Bali

Ja, sie dürfen

Es ist aber auch wirklich inkonsequent: Da warnt [1][die Gruppe „Letzte Generation“] ständig vor der Klimakrise, manchmal verursacht sie sogar Staus – und dann steigen zwei der Aktivist:innen einfach so in ein Flugzeug nach Bali? Das passt natürlich nicht zusammen. Der Luftverkehr verursacht rund 3 Prozent der globalen CO2-Emissionen. Wäre er ein Land, hätte dieses eine noch schlechtere Klimabilanz als Deutschland. Und Deutschland hat eine wahnsinnig schlechte Klimabilanz, liegt trotz der wenigen Einwohner:innen auf Platz 6 des internationalen Rankings.

Es fällt herrlich leicht, sich über die zwei Aktivist:innen aufzuregen, wie es unter anderem in der Bild geschieht. Von „dreist“ ist da die Rede und von „Doppelmoral“, was offenbar schlimmer ist als gar keine Moral. Schließlich fliegen Millionen von Menschen jedes Jahr aus Deutschland in die Welt. Im vergangenen Jahr gab es laut Statistischem Bundesamt 72.650.226 solcher Flugbewegungen. Über die meisten von ihnen gibt es keine Schlagzeilen. Der Unterschied: Kaum eine:r von denen setzt sich außerhalb des Flugzeugs für den Erhalt eines halbwegs sicheren Klimas ein – obwohl das die Flüge logischerweise nicht klimafreundlicher macht.

Hämisch mit dem Finger auf diejenigen zu zeigen, die einen Klimanotstand verhindern wollen, aber dabei nicht perfekt sind, folgt einem Reflex zur Gewissensberuhigung: Die sind ja auch nicht besser! Das ist kein neues Phänomen. Die Gegner:innen von [2][FfF-Aktivistin Luisa Neubauer] haben seit Jahren den Spitznamen Langstrecken-Luisa für sie, weil auf ihrem Instagram-Account Bilder früherer Fernreisen zu finden waren. In der Regel handelt es sich dabei nicht um Super-Ökos, die selbst die große sozial-ökologische Wende fordern und Sorge tragen, dass Neubauers Lebenswandel dem im Weg steht.

Richtig ist: Die Konsequenz aus den Forderungen von Fridays for Future, der Letzten Generation oder anderen Klimagruppen wäre eine stärkere Regulierung des Luftverkehrs – und weniger bis so gut wie gar nicht fliegen für Menschen in Deutschland. Auch für Klimaaktivist:innen natürlich. Allen Prognosen nach wird die Nachfrage nach Flügen weltweit sogar steigen. Schließlich ist das gewohnheitsmäßige Fliegen bisher nur eine schlechte Angewohnheit in reichen Industrieländern, während die große Mehrheit der Menschen noch nie in einem Flugzeug gesessen hat. Mit steigendem Wohlstand in anderen Ländern ändert sich das. Dass Flugzeuge sich in nächster Zukunft durch neue Kraftstoffe einfach CO2-neutral durch die Atmosphäre bewegen, ist indes leider nicht zu erwarten.

Es geht also mal wieder um Verteilungsfragen. Wer darf wie viel fliegen und zu welchem Zweck? Da gehen die Ansichten auseinander, manch eine:r wird Dienstreisen am wichtigsten finden, andere den Familienbesuch, Bildungsurlaub oder einfach Erholung. Es gibt Ideen, wie man das Fliegen reduzieren könnte. Beispielsweise könnte man es durch einen angemessenen CO2-Preis sehr stark verteuern. Nur wäre es dann eben noch stärker nur den Reichen vorbehalten, den eigenen Dunstkreis mal zu verlassen. Manche Verkehrsexpert:innen fordern auch feste Flugkontingente pro Person. Wer mehr fliegen will, als ihm zugeteilt wurde, müsste die Rechte anderen Menschen abkaufen. Es gibt also viel zu diskutieren – abseits vom Privatleben einzelner Klimaaktivist:innen. Susanne Schwarz

Nein, sie dürfen nicht

Klimaschützer:innen, vor allem die der „Letzten Generation“ mit ihrem Klebeprotest, sollten in eine besondere Pflicht genommen werden. Straßen blockieren und sich daran festkleben und dann mit dem Flieger um die Welt jetten? Das klingt nach Doppelmoral.

Eins vorweg: Auch Klimaaktivist:innen haben natürlich die freie Wahl, wann, wo und wie sie Urlaub verbringen wollen. Es ist eine Frage des privaten Konsums. Auch weil sie bei ihren Protesten betonen, dass das Ziel ein systemischer Wandel sein muss und nicht die Inpflichtnahme privater Verbraucher:innen. So weit, so richtig. Doch gerade ihr Protest widerspricht dieser Forderung. Denn die Klebeaktionen auf Deutschlands Straßen richten sich nicht nur gegen die seelenlose Massenproduktion von Autos oder gegen klimaunfreundliches Verhalten von Politik und Wirtschaft. Nein, sie richtet sich gezielt gegen Verbraucher:innen.

Stellen wir uns vor, die Protestierenden würden sich bei ihren Aktionen andersherum hinsetzen, als sie es bisher tun. Also dass ihre Gesichter und Banner von den Autos weg zeigen, so würden die Protestierenden die Masse hinter sich vereinen. Diese Bilder wären ein starkes Signal. Die Protestierenden würden damit sagen: Wir sind ein Teil von euch. Wir sind gemeinsame Opfer eines Systems, das wir verurteilen und gegen das wir gemeinsam kämpfen müssen.

Stattdessen setzen sich die Demonstrierenden unmittelbar vor die einzelnen Autos und damit den Fahrer:innen demonstrativ entgegen. Sie schauen sie an, zeigen Banner in ihre Richtung anstatt von ihnen weg. Es werden zwei Seiten konstruiert, der Protest auf der einen, die Autos auf der anderen. Damit richten sich die Aktionen in der bisherigen Form eindeutig auch gegen einzelne Verbraucher:innen und nehmen sie in die Pflicht.

Womit wir zum Kernpunkt kommen: Der Klebeprotest ist legitim, auch weil er sich gegen private Konsumentscheidungen richtet. Die vorherrschende Meinung vieler klimakrisenbewusster Personen ist, dass es eine klare Unterscheidung zwischen dem zu kritisierenden System und den in ihm lebenden Menschen gibt.

Das ist aber nicht wahr, ein System besteht nie ohne Menschen; es besteht aus Menschen, die es mittragen. Natürlich liegt der größte Hebel für systemische Veränderungen in der Hand von Politik und Wirtschaft – und dies sollte der Fokus von Kritik und Protest bleiben.

Doch dieses System wird eben auch durch bestimmte Konsumentscheidungen von Bürger:innen gestützt. Wer also aufs Auto statt auf den Zug setzt oder nach Bali fliegt statt an die Ostsee fährt, handelt klimaschädlich. Das bedeutet nicht, dass jede Person die Pflicht hat, CO2-intensive Entscheidungen kategorisch zu vermeiden, und sein ganzes Leben auf Vergnügen verzichten muss.

Doch wer öffentliche Kritik am Autofahren übt und sich Menschen in den Weg setzt, die zur Arbeit, zum Einkaufen oder ins Fitnessstudio fahren, macht sich eben unglaubwürdig, wenn er seinen Urlaub auf dem rund 20 Flugstunden entfernten Bali verbringt. Am besten wäre es, wenn die „Letzte Generation“ ihren Klebeprotest fortführt und beim nächsten Gerichtstermin ein Foto aus dem Zug postet. Dariusch Rimkus

1 Feb 2023

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AUTOREN

Dariusch Rimkus
Susanne Schwarz

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