taz.de -- Abgeordneter über Olympia-Gedankenspiele: „Es kommt zu Vertreibungen“

Der Abgeordnete Mehmet Yildiz warnt vor Olympia-Bewerbung Hamburgs. Da die Bevölkerung dies 2015 ablehnte, ignorierten solche Pläne deren Willen.
Bild: Hatten 2015 eine knappe Mehrheit der Hamburger überzeugt: Olympia-Gegner:innen

Hamburg taz |: Mehmet Yildiz, Sie haben 2015 die „[1][NOlympia“-Kampagne in Hamburg] initiiert. Sind Sie immer noch gegen die Spiele?

Mehmet Yildiz: Ja, weil sich beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und dessen Vertragsbedingungen nichts geändert hat. Bedingung ist, dass eine gigantische Infrastruktur und Stadien gebaut werden, wobei die Städte komplett die Kosten übernehmen müssen.

Es ist nicht gut für die Stadt?

Nein, in sämtlichen bisherigen Austragungsorten hatte das negative Auswirkungen, strukturell und finanziell.

Was wissen Sie denn über die neuen Olympia-Pläne?

Bisher nur, dass [2][der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB)] eine Bewerbung für 2036 oder 2040 erwägt und die Sportbehörde in Hamburg über eine Beteiligung nachdenkt. Deshalb habe ich eine Anfrage gestellt, wie die Pläne aussehen. Als sich die Hamburger 2015 [3][gegen die Olympiabewerbung für 2024 entschieden], ging es grundsätzlich um die Bedingungen von Olympia.

Was war damals passiert?

Es gab ein Bürgerschafts-Referendum, ob 2024 in Hamburg die Sommerspiele stattfinden dürfen. Die Mehrheit, 51,6 Prozent der Hamburger, war dagegen. Bringt der Senat 2023 erneut eine Bewerbung ins Spiel, ignoriert er faktisch diese demokratische Entscheidung.

Ist es nicht legitim, etwas neu zu fragen? Es wird auch alle fünf Jahre wieder gewählt.

Ja, aber es ging damals um [4][eine Grundsatzfrage]: Wollen wir unter solchen Bedingungen des IOC die Spiele austragen? Die Erfahrung für die Austragungsorte ist, dass riesige Investitionen von 20 bis 50 Milliarden Euro gefordert werden, die letztendlich die Steuerzahler bezahlen. Die Städte müssen Knebelverträge unterschreiben. Es kommt zudem zur Vertreibung von ärmeren Menschen und Gentrifizierung. Die lokale Wirtschaft verdient nichts, sondern nur vom IOC ausgewählte große Sponsoren. Deshalb haben die Menschen dagegen gestimmt. Wir sollten dieses Geld lieber für Hamburg, für soziale Projekte und für Breitensport ausgeben. Immerhin erleben wir gerade eine Krise. Durch Krieg und Sanktionen sind Lebenshaltungskosten und Inflation noch weiter gestiegen. Da fehlt den Menschen jeder Groschen.

Nun sollen es diesmal Spiele sein, die alle Menschen mitnehmen. Und die auch nicht Hamburg allein austrägt, sondern etwa mit Berlin. Klingt doch vernünftig, oder?

Nein, die negativen Konsequenzen werden dann nur auf mehrere Städte verteilt. In der Regel dürfen sich auch nicht zwei Städte bewerben.

Aber in China waren mehrere Spielstätten beteiligt. Wenn sich jetzt ganz Deutschland mit vielen Städten bewirbt, könnte es doch eine schöne Sache werden?

Wir müssten auch dann den Knebelverträgen zustimmen.

Was ist daran so schlimm?

Die Städte oder Länder müssen die Gesamtkosten übernehmen. Wie kann es sein, dass Sponsoren und IOC durch Olympia Milliardengewinne machen und selber keinen Beitrag leisten? Während Olympia gibt es Bannmeilen, in deren Bereich ausgewählte Sponsoren die einzigen sind, die verkaufen dürfen, und die Läden vor Ort leiden. Wenn tatsächlich Olympische Spiele stattfinden sollten, was ich im Grundsatz befürworte, müssten auch das Gewerbe und die Menschen vor Ort davon profitieren. Die Kosten müsste das IOC tragen und nicht die Steuerzahler. Und es dürften keine Strukturänderungen wie der Neubau eines olympischen Dorfes oder aufwendige Sicherheitsvorkehrungen vorgeschrieben sein. Das könnte alle mitnehmen.

Und dann wäre es okay?

Ja. In Hamburg fand 2018 die Rollstuhlbasketball-WM statt. Das war ein richtig gutes Konzept, da wurde die ganze Stadt mitgenommen.

Sie sind im Thema. Würden Sie Hamburg helfen, eine gute Bewerbung zu formulieren?

Unter den jetzigen Bedingungen nicht. Das Problem ist das IOC, eine undemokratische, profitorientierte Organisation.

[5][Wenn sich Demokratien nicht beteiligten, fände Olympia nur noch in Autokratien statt].

Wenn die Menschen in demokratischen Staaten sich gegen die Fußball-WM oder Olympia entscheiden, liegt das daran, dass sie die Autokratie der Fifa und des IOC ablehnen. Die müssen sich ändern, damit auch Menschen in Demokratien die Spiele gerne unterstützen.

Was kann Deutschland tun, damit das IOC sich verändert?

Der DOSB könnte sich stark machen und sagen: So beteiligen wir uns nicht. Wir könnten auch drauf verzichten, die teuren Fernsehrechte zu kaufen.

Ist nicht Olympia gerade jetzt wichtig, da völkerverbindend?

Sport hat etwas Verbindendes. Wir können aber auch selber internationale Feste organisieren.

9 Dec 2022

LINKS

[1] /Hamburgs-Bewerbung-fuer-Olympia-2024/!5252232
[2] https://www.ndr.de/sport/mehr_sport/Bewirbt-sich-Hamburg-noch-einmal-um-Olympische-Spiele,olympia10776.html
[3] /Olympia-Referendum/!5256070
[4] https://www.nolympia-hamburg.de/
[5] /Geschichte-der-Neuzeit-Spiele/!5831607

AUTOREN

Kaija Kutter

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