taz.de -- Frauen im Fußball-TV: Neues aus der Klüngelrunde

Nationalspielerinnen sezieren den Männerfußball im Fernsehen. Aber wo bleiben die männlichen TV-Experten beim Frauenfußball?
Bild: Wegen ihrer Expertise geschätzt: Almuth Schult

„Was da zusammenkommt, ist eine Klüngelrunde! Da fehlt mir der Weitblick.“ Das hat Fußballexpertin Tabea Kemme auf Magenta-TV zur Gesprächsrunde von Bundestrainer Hansi Flick, Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff, DFB-Präsident Bernd Neuendorf und Vize Hans-Joachim Watzke gesagt, die über die Zukunft des deutschen Fußballs beraten.

Ein Fußballexperte hätte so etwas im Fernsehen gewiss nicht gesagt, weil diese Spezies sich meist aus ehemaligen Nationalspielern zusammensetzt, die selbst wiederum mit Bierhoff oder Flick vieles verbindet. Sie gehören zur erweiterten Klüngelrunde. Das zeigt schon, dass Expertinnen wie die ehemalige Nationalspielerin Kemme die WM-[1][Fernsehberichterstattung] bereichern. Sie kann sich ein unabhängiges Urteil bilden, was für eine Expertise ja von Vorteil sein soll.

Auch Almuth Schult fällt das in der ARD leichter als etwa Sami Khedira oder Thomas Hitzlsperger, die sich noch zu gut daran erinnern können, dass Bierhoff schon seine guten Seiten hat. Wobei Bierhoff ebenfalls Verantwortung für die DFB-Frauen trägt und damit Chef der noch aktiven Torhüterin Schult ist, was diese nicht gerade dafür prädestiniert, die Frage zu erörtern, ob er weiter der richtige Mann ist. Im Vergleich zum ebenfalls aktiven TV-Experten Christoph Kramer (ZDF), der jüngst noch ins DFB-Team berufen wurde, dürfte sie wiederum als quasineutral durchgehen.

Obendrein können ARD und [2][Magenta-TV] sich als vorbildlich divers präsentieren, wenn sie dem Trend, auch Frauen im Männerfußball zu Wort kommen zu lassen, weiter befördern. Es sind durchaus Fortschritte festzustellen.

Bei der Bundesligaberichterstattung von Sky musste sich etwa die Nationalspielerin Julia Simic mächtig ins Zeug legen, um mit ihren Analysen ernst genommen zu werden. Ihr Kompagnon Lothar Matthäus schien anfangs im Stillen die Sekunden zu zählen, bis er wieder etwas wirklich Wichtiges sagen konnte. In den WM-Runden ist die Diversität selbstverständlicher geworden.

Doch wo waren Sami Khedira, Thomas Hitzlperger, Christoph Kramer, Per Mertesacker und Michael Ballack während der EM der Frauen? Warum haben sie nicht in selber Ausgiebigkeit die Szenen des deutschen Halbfinaltriumphes über Frankreich seziert? Warum konnte man ihre große Betroffenheit nicht sehen, als das Team im Finale gegen England scheiterte? Wahrscheinlich würden sie ihre Abwesenheit ähnlich erklären, wie es der einstige DFB-Präsident Reinhard Grindel damals bei der Frauen-EM 2017 getan haben dürfte: Irgendwann muss man auch mal Urlaub machen.

6 Dec 2022

LINKS

[1] /Doku-ueber-Fussballnationalteam-der-Frauen/!5862494
[2] /Premiumprodukt-Fussball/!5870007

AUTOREN

Johannes Kopp

TAGS

Fußball-WM
Fußball
Fußball-WM 2022
Almuth Schult
Mutterschaft
Fußball-WM
American Pie
Frauenfußball
Frauenfußball

ARTIKEL ZUM THEMA

Karriereende von Almuth Schult: Hadern im System

Mit Almuth Schult beendet eine der größten deutschen Fußballerinnen ihre Laufbahn. Sie kämpft wie kaum eine mit angemessener Wut für Veränderungen.

Torhüterin und Mutter Almuth Schult: Die Botschafterin

Almuth Schult steht für das Konzept, Profi-Fußball und Mutterschaft zu vereinen. Nun kehrt sie von Kalifornien zurück ins Frauenteam des HSV.

Konsequenz nach WM-Pleite: Bierhoff nicht mehr DFB-Direktor

Wenige Tage nach dem WM-Desaster folgt die Einigung über eine Vertragsauflösung. Oliver Bierhoff verlässt seinen Posten als DFB-Direktor, die Nachfolge ist offen.

Sasionabschluss in der US Frauenliga: Befreiende Feier

Die Fußballerinnen der Portland Thorns sind Meisterinnen. Sie beenden eine denkwürdige Saison, die von Missbrauchsenthüllungen geprägt war.

Frauenfußballprojekt in den USA: Rosa Reize

Torhüterin Almuth Schult wechselt zum Angel City FC nach Los Angeles. Der Klub arbeitet mit Sendungsbewusstsein an einem großen Projekt.

Personalien bei Turbine Potsdam: Krasse Widerstände

Tabea Kemme wäre fast Präsidentin von Turbine Potsdam geworden. Man wird von ihr als Vertreterin einer neuen Frauengeneration gewiss noch hören.