taz.de -- Turn-WM in Liverpool: Mit Anlauf zu Olympia

Karina Schönmaier hat sich von einer kleinen Halle in Bremen zur WM geturnt. Jetzt soll die 17-Jährige endlich an einen großen Turnstandort wechseln.
Bild: Schön, aber nicht schwierig genug: Karina Schönmaier über der Matte in Liverpool

Liverpool taz Wenn Karina Schönmaier anläuft, um ihren Sprung zu zeigen, dann ist klar: Irgendwas ist hier anders. Die Anlaufbahn vor dem Sprungtisch ist genormt, am Ende ist eine Markierung, die maximale Anlauflänge beträgt 25 Meter. Sie wird in aller Regel von den Turnerinnen ausgenutzt. Karina Schönmaier aber steht bei circa 18 Meter, so die Schätzung von [1][Bundestrainer Gerben Wiersma], läuft an und springt einen Jurtschenko mit ganzer Schraube. Im Mehrkampffinale der [2][WM in Liverpool] zeigte Schönmaier einen sehr guten Sprung, bei ihrem allerersten Auftritt auf internationaler Bühne wurde sie 22.

„Wenn sie mehr will, dann braucht sie einen längeren Anlauf“, sagt Wiersma: „Um einen Jurtschenko mit zwei Schrauben zu springen, braucht man die 25 Meter.“ Klingt logisch: längerer Anlauf, höhere Anlaufgeschwindigkeit. Der Unterschied zwischen einer und zwei Schrauben ist beträchtlich: Acht Zehntel gewinnt die Turnerin damit im Ausgangswert der Übung.

[3][Das deutsche Team], das in der Endabrechnung auf dem zwölften Platz landete, überzeugte in Liverpool durch stabile und schön vorgetragene Übungen, denen es aber fast durchweg noch an Schwierigkeit mangelt: „Wir sind, was die Ausgangswerte betrifft, an Sprung und Boden schwach“, benennt Wiersma das Problem. Karina habe das Potenzial, an allen Geräten aufzustocken, also schwieriger zu turnen: „Das ist es, was ich im nächsten Jahr brauche“ – so der Cheftrainer mit Blick auf die dann anstehende Olympiaqualifikation.

Die Sache mit dem längeren Anlauf aber ist nicht so einfach zu lösen, denn Karina Schönmaier trainiert in einer Turnhalle, die nicht lang genug ist: Um 25 Meter Anlauf zu nehmen, muss sie die Türe nach draußen aufmachen und im Freien starten. Schönmaier, die mit ihrem fehlerfreien Wettkampf „megaglücklich“ war, ist im TuS Huchting in Bremen groß geworden. Hier hat sie bei ihrer Trainerin Katharina Kort gelernt, womit sie in Liverpool zur besten deutschen Mehrkämpferin wurde. Über Kort sagt Gerben Wiersma: „Ich habe größten Respekt vor Katharina, sie hat einen großartigen Job gemacht.“

Ohne Unterstützung vom Verband

Dass ihre Turnerin ein großes Talent ist, sollte eigentlich allen Verantwortlichen spätestens 2020, als sie die deutsche Meisterschaft ihrer Altersklasse gewann, aufgefallen sein. Doch Schönmaier, die für Blau-Weiß Buchholz startet, wurde nie in den deutschen Kader aufgenommen. Das heißt vor allem: Sie bekam keinerlei finanzielle Unterstützung vom Verband. Das hat sich erst vor Kurzem geändert; nachdem Bundestrainer Wiersma die 17-Jährige im Februar zum ersten Mal gesehen hatte, wurde sie Anfang Juli in den Kader berufen.

Damals gab es ein Gespräch mit allen Beteiligten. „Ich habe ihr geraten, in einen Bundesstützpunkt zu wechseln“, sagt Gerben Wiersma, Sportdirektor Thomas Gutekunst formuliert, man habe die „Empfehlung“ ausgesprochen, da der Verband „aus sportlicher Sicht einen Wechsel für sinnvoll“ erachte.

Der DTB hat ein Stützpunktkonzept und im Zuge des Programms „Leistung mit Respekt“ angekündigt, dies ausbauen zu wollen. Karina Schönmaier war zuletzt zwei Wochen zum Probetraining in Chemnitz. Der dortige neue Cheftrainer, Anatol Aschurkov, der in Liverpool zum Trainerteam gehört, hat sie in ihrem ersten WM-Finale betreut. Auch er ist von ihrem Potenzial überzeugt.

Karina Schönmaier hat ihren ersten großen Auftritt genossen, die Atmosphäre sei „richtig toll“ gewesen: „Für meinen weiteren Weg war es sehr gut, hier turnen zu dürfen.“ Die Frage ist nun, wo sie diesen Weg vorbereitet. Alle Seiten betonen, die Entscheidung liege letztlich allein bei der Turnerin. Und falls die entscheidet, in Huchting zu bleiben? „Das würde das System aushalten, aber es ist natürlich nicht das Ziel“, sagt Thomas Gutekunst. Bis Ende des Jahres soll eine Entscheidung fallen.

6 Nov 2022

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AUTOREN

Sandra Schmidt

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