taz.de -- Filmempfehlungen für Berlin: „Na, siehst Du?“
Das Roma-Filmfestival adressiert Erinnerungskulturen in Deutschland und Europa, Corinna Harfouch liest aus Arbeitstagebüchern von Ingmar Bergmann.
Im Nationalsozialismus massiv verfolgt und als Opfer erst spät wirklich anerkannt, gestaltet sich die Lebenswirklichkeit der Sinti und Roma heute vor allem in einigen osteuropäischen Ländern, aber auch in Deutschland immer noch ausnehmend düster. Das von der Roma-Selbstorganisation [1][RomaTrial] seit 2017 veranstaltete Berliner Roma-Filmfestival „Ake dikhea?“ („Na, siehst Du?“) widmet sich deshalb insbesondere der Dekonstruktion gängiger Klischees und zeigt Filme aus der eigenen Perspektive.
In diesem Jahr beschäftigt man sich vor allem mit der Erinnerungskultur in Deutschland und Europa und eröffnet [2][das Festival] am 24. Oktober, dem 10. Jahrestag der Einweihung des Denkmals für die ermordeten Sinti und Roma Europas. Kulturstaatsministerin Claudia Roth und der Berliner Kultursenator Klaus Lederer sprechen Grußworte, ehe am Premierenabend neun animierte Kurzfilmbiografien verfolgter Sinti und Roma gezeigt werden; Gespräch mit Beteiligten, darunter der niederländische Holocaust-Überlebende [3][Zoni Weisz], schließen sich an. Das Festival läuft bis zum 30. Oktober (24.10., 19 Uhr, [4][Babylon Mitte]).
Bis zur Verschmelzung
Ingmar Bergmans rätselhaftes Werk „Persona“ gehört zu den großen europäischen Filmkunstklassikern der 60er-Jahre. Zwei Frauen treffen in einem ständigen Wechsel von Distanz und Nähe aufeinander: Die Schauspielerin Elisabeth Vogler (Liv Ullmann) ist angesichts der von ihr als entsetzlich wahrgenommenen Realität verstummt, ihre Betreuerin, die Krankenschwester Alma (Bibi Andersson), ist hingegen ausgesprochen mitteilungsbedürftig. Sie fängt schließlich an, sich so weit mit der Patientin zu identifizieren, dass es zu einer Verschmelzung der beiden Persönlichkeiten kommt – manifestiert in einer berühmten Einstellung, die jeweils eine Gesichtshälfte der beiden Darstellerinnen zu einem gemeinsamen Antlitz montiert.
Es geht um Sein und Schein des Daseins, existentielle Einsamkeit, möglicherweise auch um multiple Persönlichkeiten – das komplexe Psychodrama bleibt vielseitig deutbar. Bergman selbst sagt: „Ich lade die Phantasie der Zuschauer ein, frei über das Material zu verfügen, dass ich ihnen anbiete.“ Corinna Harfouch, die in Bühnenversionen von „Persona“ bereits beide Frauenrollen gespielt hat, liest am 23. Oktober aus Ingmar Bergmans Arbeitstagebüchern, die Renate Bleibtreu unter dem deutschen Titel „Ich schreibe Filme“ herausgegeben hat; der Film läuft im Anschluss an die Lesung (23.10., 18 Uhr, [5][Babylon Mitte]; weitere „Persona“-Vorstellungen ohne Lesung: 24.10., 18.15 Uhr und 25.10., 18.45 Uhr).
Drei mal unerkannt
Einer der besten Filme überhaupt ist Max Ophüls' „Letter from an Unknown Woman“, eine Stefan-Zweig-Verfilmung, die der Regisseur 1948 in Hollywood realisierte: ein fantastisches Melodram um eine Amour fou und zwei verpfuschte Leben. Lisa (Joan Fontaine) verliebt sich bereits als junges Mädchen in ihren Nachbarn, den Konzertpianisten Stefan Brand, und wird ihrer Obsession im Laufe der Jahre alles opfern.
Brand (Louis Jourdan) hingegen verschleudert sein musikalisches Talent, um sich einem Leben als Playboy zu widmen. Drei Mal noch wird er in Lisas Leben treten – doch nie wird er sie wiedererkennen. Das Filmmuseum Potsdam zeigt den Film begleitend zur Ausstellung „Ich sehe was, was du nicht siehst“ mit Objekten aus der Sammlung des Experimentalfilmers Werner Nekes, darunter ein Rollpanorama ähnlich dem im Film auf einem Jahrmarkt gezeigten (21.10., 21 Uhr, [6][Filmmuseum Potsdam]; Eröffnung der Ausstellung um 19 Uhr).
20 Oct 2022
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