taz.de -- Tod der Journalistin Shireen Abu Akleh: Untersuchung bringt ein Geständnis

Israel räumt ein, eigene Soldaten hätten vor vier Monaten die tödliche Kugel auf die populäre arabische Reporterin Shireen Abu Akleh abgefeuert.
Bild: Mural der Journalistin Shireen Abu Akleh an der Trennmauer zwischen Israel und Palästina in Bethlehem

Berlin taz | Ein „unglücklicher Vorfall“ oder gezielte Tötung? Am Montagnachmittag hat Israel nach einer internen Untersuchung eingeräumt, dass die renommierte US-amerikanisch-palästinensische Journalistin Shireen Abu Akleh „höchstwahrscheinlich“ von der Kugel eines israelischen Soldaten getroffen wurde. Doch zentrale Fragen um den Vorfall bleiben ungeklärt.

Die bekannte Reporterin des Nachrichtensenders Al Jazeera wurde [1][am 11. Mai erschossen], als sie über eine Razzia des israelischen Militärs in der Stadt Jenin im Westjordanland berichtete. Sie trug zum Zeitpunkt ihres Todes eine Weste mit der Aufschrift „Presse“ und einen Helm. Die Palästinenserin war auch amerikanische Staatsbürgerin.

Unmittelbar nach dem Vorfall beschuldigten sich die palästinensische und israelische Seite gegenseitig, die tödliche [2][Kugel] abgeschossen zu haben. Israel ruderte kurz danach zurück. Es bleibe unklar, ob die Journalistin von Palästinenser:innen oder vom israelischem Militär getötet worden sei, betonte Aviv Kohavi, Kopf von Israels Militär im Mai.

Die Tötung von Abu Akleh erregte international großes Aufsehen. Zusätzlich angefacht wurde die Empörung mit Zusammenstößen auf ihrer [3][Beerdigung] in Jerusalem. Die Bilder, wie der Sarg der Reporterin beinahe zu Boden fiel, als die israelische Polizei vor dem Ostjerusalemer Krankenhaus mit Schlagstöcken gegen die Sargträger vorging, gingen um die Welt.

Die UN machen schon lange Israel verantwortlich

Kurz nach dem Vorfall wurden Forderungen nach einer [4][unabhängigen Untersuchung] und einer strafrechtlichen Verfolgung laut.

Stattdessen nahmen sich verschiedene Journalist:innen des US-Fernsehsenders CNN, der New York Times und der Washington Post des Vorfalls an. Auch die UNO untersuchte den Vorfall. Sie kamen unabhängig voneinander zu dem [5][Schluss], dass wohl Israel für die Kugel, die Abu Akleh getötet hat, verantwortlich sei.

Mit der internen Untersuchung gibt Israel nun Teilen dieser Berichte Recht. Allerdings fiel dem israelischen Bericht zufolge der fragliche Schuss, als palästinensische Bewaffnete in der Nähe von Abu Akleh auf ein gepanzertes israelisches Fahrzeug feuerten. Einer der Soldaten habe geglaubt, Abu Akleh gehöre zu den bewaffneten Kämpfern, die auf sie schossen, und habe wahrscheinlich durch ein Zielfernrohr auf sie geschossen.

Die bisherigen Medienrecherchen sowie der Bericht der UNO zeichnen allerdings ein anderes Bild von dem Vorfall. Zwar hat etwa die [6][New York Times] in ihrer eigenen Recherche aus dem Juni keine Beweise dafür gefunden, dass Abu Akleh absichtlich erschossen wurde, wie es die palästinensische Autonomiebehörde nahegelegt hatte. Doch die Zeitung erklärte in ihrer Darstellung der Situation, dass sich keine bewaffneten Palästinenser in Abu Aklehs Nähe befunden hätten, als sie erschossen wurde.

Staatsanwaltschaft will keine Ermittlungen aufnehmen

[7][CNN] ging noch einen Schritt weiter und sieht Indizien dafür, dass Abu Akleh in einem gezielten Angriff getötet wurde. Der Nachrichtensender verweist auf Videos des Vorfalls, die von Augenzeugenberichten gestützt würden. In ihnen sei zu sehen, dass sich keine militanten Palästinenser:innen in Abu Aklehs Nähe aufgehalten hätten.

Juristische Folgen werden sich aus der israelischen Untersuchung nicht ergeben. Aviv Kochavi, Generalstabschef der israelischen Armee, betonte, der Vorfall habe sich „während einer operativen Tätigkeit zur Vereitelung des palästinensischen Terrors“ ereignet. Die israelische Militärstaatsanwaltschaft erklärte, sie werde keine Ermittlungen gegen die an dem Vorfall beteiligten Soldaten einleiten, da „kein Verdacht auf eine Straftat besteht“.

Washington begrüßte die Veröffentlichung der internen israelischen Untersuchung. Doch Palästinenser:innen, israelische Menschenrechtsorganisationen wie BTselem und die Familie der Journalistin fordern weiterhin eine unabhängige Untersuchung. „Wie erwartet“, so äußerte sich die Familie der Journalistin, „hat Israel sich geweigert, Verantwortung für die Ermordung von Shireen zu übernehmen.“

6 Sep 2022

LINKS

[1] /Israel-Palaestina-Konflikt/!5854166
[2] /Ermittlungen-zu-getoeteter-Journalistin/!5865120
[3] /Getoetete-Al-Jazeera-Journalistin-Shireen-Abu-Akleh/!5854579
[4] /Tod-der-Journalistin-Shireen-Abu-Akleh/!5850423
[5] /Getoetete-Journalistin-im-Westjordanland/!5863666
[6] https://www.nytimes.com/2022/06/20/world/middleeast/palestian-journalist-killing-shireen.html?searchResultPosition=4
[7] https://edition.cnn.com/2022/05/24/middleeast/shireen-abu-akleh-jenin-killing-investigation-cmd-intl/index.html

AUTOREN

Judith Poppe

TAGS

Palästina
Israel
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Presse
Schwerpunkt Pressefreiheit
Al-Jazeera
Untersuchung
Ermittlungen
GNS
Schwerpunkt Pressefreiheit
Israel
IG
Westjordanland
Journalistin
Palästina

ARTIKEL ZUM THEMA

TV-Sender Al Jazeera: Katars Kameras

Al Jazeera prägt die Bilder, die die Welt aus Gaza zu sehen bekommt. Wie unabhängig ist die Berichterstattung des von Katar finanzierten Senders?

Tod einer Reporterin im Westjordanland: Kreuzfeuer oder gezielte Tötung

Auch ein Jahr nach dem Tod der arabischen Journalistin Shireen Abu Akleh ist noch immer umstritten, wie es dazu kam.

Unruhen im Westjordanland: Ein neues Symbol für Tod und Hass

Beim Anblick eines israelischen Soldaten soll ein Junge im Westjordanland tot umgefallen sein. Der Vorfall schürt die aggressive Stimmung weiter an.

Montagsdemos der Linken: Dubiose Eigenprofilierung

Mit den Montagsdemos bringt Die Linke das Hufeisen selbst in die Diskussion. Stattdessen sollte sie sich besser auf ihre Kernaufgaben konzentrieren.

Ermittlungen zu getöteter Journalistin: An die USA, nicht an Israel

Die Palästinenser übergeben die Kugel, die die Journalistin Shireen Abu Akleh tötete, an die USA. Die Übergabe an Israel hatten sie verweigert.

Getötete Journalistin im Westjordanland: Das gleiche Fazit

Die UN-Untersuchung zum Fall Shireen Abu Akleh kommt zum selben Schluss wie Medien und NGOs: Das israelische Militär habe die Journalistin erschossen.

Getötete Al-Jazeera-Journalistin Shireen Abu Akleh: Beerdigung von Gewalt überschattet

Israelische Sicherheitskräfte haben am Freitag die Trauerprozession gestürmt, dabei fiel der Sarg fast zu Boden. EU, UNO und USA kritisieren den Einsatz scharf.