taz.de -- Folgen des Kriegs in der Ukraine: Propaganda ist wie Mundgeruch
Kann ich den deutschen Volksaufstand durch kalt duschen verhindern? Oder erledigt das die Mehrwertsteuer-Senkung? Die Regierung macht mich wuschig.
Am Anfang des Krieges war das Kneipengespräch. Der Freund einer Freundin eines Freundes, nennen wir ihn FFF, behauptete, Russland sei Deutschlands wichtigster Handelspartner und deswegen könne die Bundesregierung nicht einfach alle Zelte abbrechen, weil am Ende lachten die Russen und „wir“ hätten weder was zu lachen noch zu beißen und wer, wenn nicht „wir“, wüssten, wohin das dann führe.
Dieser FFF ließ sich von seiner Behauptung – „China? Haha!“ – nicht abbringen, und wie das so ist mit Angetrunkenen, vor allem männlichen: Dämmert ihnen, sie könnten falsch liegen, werden sie hartnäckig bockig. Man bestellt ihnen am besten noch ein Bier und unternimmt alles, um das Thema zu wechseln.
Auch nach sechs Monaten Krieg hab ich das Gefühl, ich sitze noch immer mit FFF in der Kneipe. Aber an der Theke sitzt nicht der FFF, sondern die Bundesregierung. Kneipengespräche zwischen Nichtregierungsmitgliedern strotzen selbstverständlich vor Ahnungslosigkeit, Spekulation, Behauptung. Weil das im allgemeinen Kneipengespräch immer so ist und weil Falsch- und Besserwisserei im Besonderen integrale Bestandteile eines Krieges sind. Mein Lieblingsbeispiel ist die von Nato über Brüssel und Berlin bis FFF mit breitem Grinsen verbreitete Behauptung, Putin habe die Ukraine und den Westen unterschätzt. Die Sache mit der Ukraine kann ich null beurteilen. Die Selbsteinschätzung des Westens aber halte ich nach wie vor für Propaganda. Dass man sich im Westen anfangs darin überbot, den Krieg aufs Schärfste und Allerschärfste zu „verurteilen“, dürfte auch Putin nicht überrascht haben. Viel hätte nicht gefehlt, und er hätte das Gleiche – mit „extra scharf“ – getan.
Propaganda ist etwas, mit dem es sich ähnlich verhält, wie mit Ideologie und Mundgeruch: Beides haben immer nur die anderen. Mal abgesehen von der Selbstfeier des Westens, der „so einig wie nie zuvor“ alles dafür tue, Putin in die Schranken zu weisen, ist die deutsche Politik zumindest an einer weiteren Stelle propagandaanfällig: beim wütenden Deutschen. Seit Kriegsbeginn behauptet die Regierung, man könne Putins Gashahn nicht zudrehen, sonst drohe hierzulande ein „Volksaufstand“.
Der Gashahn ist nicht abgedreht – aber ich bin mittlerweile kurz vorm Durchdrehen. Gestern unter der Dusche fragte ich mich ernsthaft, was jetzt richtig wäre im Krieg gegen Putin, also auf Deutsch: um den Zorn meiner Landsleute nicht zu entfachen. Mich mit wenig kaltem oder mit reichlich warmem Wasser abspülen? Soll ich jetzt Gas sparen oder Gas geben? Oder 50 Euro besser der deutschen Industrie spenden, statt der Ukraine?
Googeln kann ich nicht mehr. Anders als der FFF, der einfach „Deutschland Handelspartner größter“ hätte eingeben müssen, sind die Google-Antworten im Energiebereich veraltet. Früher hätte da gestanden: „Wenn es warm ist, duschen Sie warm.“ Jetzt steht da: „Energiepauschale, MwSt.-Senkung, neuer Duschkopf, Tankrabatt: Was wir wissen und was nicht …“
Die Reinigung und die Beheizung von Körpern sind zu kriegsentscheidenden Fragen geworden. Ich würde der Regierung gern ein Bier bestellen und das Thema wechseln: Könnten Sie mal bei der BASF nachfragen, ob die die Massagesessel für Manager einsparen könnten, um keine Stellen streichen zu müssen? Dann könnten wir diese Aufregerstory mit dem „Volksaufstand“ vielleicht auch wieder lassen.
21 Aug 2022
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