taz.de -- Scholz' Reaktion auf Klima-AktivistInnen: Klimakanzler mit Unterbrechungen

Hält Olaf Scholz Klima-AktivistInnen für Nazis? Kaum. Der Aufruhr um die Redenstörer zeigt aber, dass die deutsche Konsensmaschine stottert.
Bild: Und sei es nur, indem man ab und zu den Kanzler unterbricht: Protestaktion auf den Katholikentag

Also Bundeskanzler, nein, das wäre nichts für mich. Einmal mit den Mundwinkeln gezuckt, und der DAX stürzt ab. Einmal beim Telefonat mit Putin gehustet, schon bricht der Atomkrieg los. Einmal blöd über Gegendemonstranten geredet, schon kommt das Twittergewitter.

Aber Verfassungsorgane haben sich eben dauernd im Griff zu haben. Also auch Olaf Scholz. Der sagte in der vergangenen Woche auf dem Katholikentag über Störer in seiner Veranstaltung, diese „schwarz gekleideten Inszenierungen von immer den gleichen Leuten erinnern mich an eine Zeit, die lange zurückliegt, und Gott sei Dank“. Das wurde als [1][inakzeptabler Vergleich mit dem Nazi-Terror] interpretiert. Aber hält der Kanzler Klima-AktivistInnen wirklich für Nazis? Schwer vorstellbar.

Die Reaktion des Kanzlers und anderer auf dem Podium („wenn ihr euch radikalisiert, bricht das Gespräch ab“) und der Applaus des Publikums lassen mich grübeln. Der Versuch, die Erdüberhitzung aufzuhalten, wird behandelt wie ein Tarifstreit: Alles in Maßen, bloß nix Radikales, wir finden einen Mittelweg.

Das ist die gute alte Konsensmaschine, die dieses Land 70 Jahre lang stabil und wohlhabend gemacht hat. Und die gleichzeitig verhindert hat, dass reale Bedrohungen wie der Klimawandel, das Artensterben oder die Plastiklawine ernsthaft angegangen werden. Zeit-Kollege Bernd Ulrich hat das in seinem Buch „Alles wird anders“ klug seziert.

Randale ist verpönt – auch beim Klima

Denn beim Systemwechsel versagt das System. Die erstaunliche Sache am Klimaprotest ist ja, wie friedlich er bleibt. Freitags Schuleschwänzen ist da schon fast die größte Revolte. [2][Randale ist trotz aller Klima-Horrormeldungen verpönt]. Und nun gilt schon ein Zwischenrufer in Schwarz als inakzeptabler Störenfried?

Hier also die verständliche bürgerliche Sehnsucht nach „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“, kleinen Schritten und „niemanden überfordern“. Andererseits die ernsthafte Sorge, dass nicht nur im Ahrtal alles den Bach runtergeht.

Eine Leserin schreibt, ihre Patentochter wolle vor dem drohenden Klimakollaps am liebsten nach Südostasien auswandern. Was ich da raten könne? Was soll ich sagen: Dass es bei uns klimatisch eher sicherer ist als in den Tropen? Das sind hier nicht umsonst die „gemäßigten Breiten“. Dass ich lieber in einem demokratischen Land lebe, wo die Krankenhäuser funktionieren und die Müllabfuhr kommt. Dass man statt Deutschlandflucht vielleicht besser hierbleibt und für schnelle Veränderung kämpft.

Und sei es nur, indem man ab und zu den Kanzler unterbricht.

3 Jun 2022

LINKS

[1] /Scholz-Aeusserung-ueber-Klimaaktivismus/!5854954
[2] /Klimaaktivisten-ueber-Autobahnblockaden/!5835112

AUTOREN

Bernhard Pötter

TAGS

Schwerpunkt Klimawandel
Aktivismus
GNS
Wir retten die Welt
Olaf Scholz
Schwerpunkt Klimaproteste
Schwerpunkt Klimawandel
CO2-Emissionen
Markus Söder
Schwerpunkt klimaland
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Klimawandel
Wir retten die Welt

ARTIKEL ZUM THEMA

Nach Eklat mit Olaf Scholz: Zwischenrufer vor Gericht

Ein Klimaaktivist hatte auf dem Katholikentag während Olaf Scholz’ Auftritt „Schwachsinn“ gerufen. Nun hat die Szene ein juristisches Nachspiel.

Schutz natürlicher Ressourcen: Tausche Natur gegen Geld

Reiche Länder bezahlen dafür, dass arme Länder zum Klimaschutz ihre natürlichen Ressourcen nicht ausbeuten. Das klingt abwegig, ist aber sinnvoll.

Neues EU-Klimapaket: Nicht fit für 55

Das groß angekündigte EU-Klimapaket ist wenig ambitioniert. Selbst CSU-Generalsekretär Markus Söder forderte in der Vergangenheit schon mehr.

Obstanbau im Klimawandel: „Vergiss die Ernte“

Das größte deutsche Süßkirschen-Anbaugebiet liegt in der Fränkischen Schweiz. Doch der Klimawandel könnte das Aus für die Kirschbäume bedeuten.

Globale Klimapolitik: Gegengift gegen die Verzweiflung

Der Bericht zu den Entwicklungszielen steckt voller Hiobsbotschaften. Doch er liefert die nötigen Daten, um Druck auf die Staaten zu machen.

Scholz-Äußerung über Klimaaktivismus: Ein Kanzler, der verdrängt

Bundeskanzler Scholz hat ziemlich sicher Klimaaktivismus mit dem Nationalsozialismus verglichen. Das ist ein Skandal, im Grunde ein Rücktrittsgrund.

Klimawandel in der Finanzwirtschaft: Bisschen grünes Geld reicht nicht

Nachhaltige Finanzwirtschaft – da war doch was? Schon die Merkelregierung hatte Vorschläge vorgelegt. Was ist eigentlich daraus geworden?

Interessenkonflikte von Politikern: Der Bock ist immer der Gärtner

Wir statten unsere VolksvertreterInnen mit Vollzeitstelle plus Bahncard 100 aus. Trotzdem dürfen sie Nebenjobs annehmen. Muss das immer gutgehen?