taz.de -- Regisseur Godard auf der Berlinale: Bilder für die Wildschweine

Regisseur Jean-Luc Godard ist mit und in mehreren Filmen bei der Berlinale zu sehen. Das Haus der Kulturen der Welt in Berlin bietet eine Ausstellung.
Bild: Jean-Luc Godard in „À vendredi, Robinson“ von Mitra Farahani

Ja, er lebt noch! 91 Jahre ist Jean-Luc Godard im Dezember geworden, verbringt den Alltag seit Langem zurückgezogen in Rolle, einer kleinen Gemeinde am Genfer See und hat inzwischen weit über hundert Kurz- und Langfilme gedreht; Dokumentationen, Essayfilme, Spielfilme machen ihn ganz ohne Frage zum bedeutendsten, einflussreichsten Gegenwarts-Regisseur.

Auf der 72. Berlinale ist Jean-Luc Godard gleich vier Mal vertreten, quer durch die Sektionen, in einem assoziativen Geflecht an Filmen und Ideen, das zu Godard passt. Einen konkreten Anlass für den Godard-Schwerpunkt gibt es nicht, kein Jahrestag, kein Jubiläum, vermutlich ist es dem Zufall zu verdanken, dass diverse Filme und Projekte zum selben Zeitpunkt fertig waren, so dass Berlinale-Leiter Carlo Chatrian die Gelegenheit beim Schopf packte.

Der erste Strang ist ein Film der in Paris lebenden Iranerin Mitra Farahani, der heute in der Sektion Encounters seine Weltpremiere erlebt: „À vendredi, Robinson“ (Bis Freitag, Robinson). Neben Godard ist darin ein zumindest im Westen deutlich unbekannterer Künstler zu sehen: Der iranische Autor und Filmemacher Ebrahim Golestan, der sagenhafte 99 Jahre alt ist. Zeitgenossen sind die beiden Altmeister also, haben sich jedoch nie getroffen. Farahani versuchte eine Begegnung zu initiieren, es blieb bei Briefen, die sich die beiden Regisseure über 29 Wochen, jeden Freitag, schickten.

Ein Spiel mit Worten und Bildern, wie es Godard gefallen haben muss, sind die Filme des Mitbegründers der Nouvelle Vague im Laufe der Zeit doch immer verkopfter geworden, haben sich in hermetische Tiefen begeben, die schwer zu ergründen sind. Nach den im Nachhinein geradezu populistischen 60er Jahren, waren die 70er Jahre für Godard geprägt vom politischen Kino, vom Versuch, mit Bildern einen Wandel der Gesellschaft herbeizuführen.

1980 drehte Godard dann den Film, den er als zweites Debüt bezeichnet hat und der den zweiten Strang bildet: „Sauve qui peut (la vie)“ – Rette sich, wer kann (das Leben) – wird im Rahmen der Hommage an Isabelle Huppert gezeigt und ist die erste Zusammenarbeit der damals 27-jährigen Schauspielerin mit Godard. Sie spielt eine Prostituierte, die sich scheinbar willenlos den seltsamen Wünschen ihrer Freier hingebt, die weniger mit Sex oder gar Liebe als mit Arbeit und Macht zu tun haben. Bert Rebhandl schrieb dazu in seiner kürzlich erschienenen Monographie über Godard treffend: „Liebe und Arbeit sind dadurch verbunden, dass Liebe zur Arbeit wird, während es der Arbeit an Liebe mangelt.“

Voller stilistischer Experimente ist der Film, Godard setzt Zeitlupe und Standbilder ein, experimentiert mit Bild und Ton, wie es seine Filme in den folgenden Jahren prägen wird. Huppert verglich die Arbeit an Godards Film mit einer Dokumentation: Nie habe sie an einem Film gearbeitet, bei dem weniger improvisiert wurde, ihre Aufgabe als Schauspielerin sei es allein gewesen, dabei zu helfen, Godards Vorstellungen umzusetzen.

Aus dem Jahre 2004 ist „Notre Musique“ (Unsere Musik), der dritte Strang, ein essayistischer Spielfilm, könnte man sagen, der in einer neu digitalisierten Fassung gezeigt wird. Zu sehen ist Godard, wie immer an der Zigarre paffend, der auf dem Flughafen von Sarajevo auf die Gäste eines internationalen Literaturfestivals wartet. Zu diesem Zeitpunkt beschäftigte sich Godard oft mit den Kriegen, die nach dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens den Balkan erschütterten.

Doch seine Assoziation bleiben wie immer nicht an einem konkreten Krieg hängen, sondern führen in die Vergangenheit, zum Ersten und Zweiten Weltkrieg, aber auch in die Gegenwart, der fortgesetzten Unterdrückung der Palästinenser im Nahen Osten. „Die Juden wurden Stoff von Fiktion, die Palästinenser von Dokumentation“, heißt da einer dieser Sätze, die Godard gerade in Deutschland immer wieder den Vorwurf einbrachten, fragwürdige, um nicht zu sagen antisemitische Positionen einzunehmen.

Wie schwer verständlich Godard ist, zeigt ein amüsanter Youtube-Clip, der zum 20. Todestag des französischen Intellektuellen Pierre Bourdieu kursierte: Beim Betrachten von Godards Ideen sagt Bourdieu neidlos: „Ich verstehe überhaupt nichts…“ So mag es auch dem unbedarften Besucher des vierten und wichtigsten Strangs der Godard-Festspiele gehen, der im Haus der Kulturen der Welt zu sehen ist.

Dort hat Fabrice Aragno, Godards langjähriger Assistent, Cutter, Kameramann, Produzent eine Ausstellung kuratiert, die aus dem bislang letzten Film Godards, dem essayistischen Meisterwerk [1][„Le Livre D’image“ (Bildbuch)] eine Art begehbare Filminstallation formt. Auf rund 40 Monitoren sind Bilder aus dem Film zu sehen, dazwischen Bücher, die Godards Denken beeinflusst haben, auch Tonaufnahmen und Objekte für Godard-Fetischisten werden aufgeboten: Ein Stuhl, auf dem der Meister saß! Godards Ausgabe des „Archipel Gulag“, mit Markierungen und Eselsohren! Auch ein Monitor am Fenster findet sich, denn Godard sagte kürzlich, dass er sich freuen würde, wenn die in Berlin hausenden Wildschweine die Gelegenheit hätten, sein Werk zu sehen!

Man merkt: Ernst sollte man Godard nicht immer nehmen, auch wenn man ihn, seine Filme, seine Gedanken natürlich unbedingt ernst nehmen sollte. Für Godard-Fans und solche, die es werden wollen, bietet die Installation im HKW jedenfalls eine überwältigende Erfahrung, die mit ihrer kakophonischen, assoziativen Bild- und Toncollage ein wenig den Eindruck vermittelt, wie es sich im Kopf von Jean-Luc Godard, dem größten lebenden Regisseur, anfühlen mag.

12 Feb 2022

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AUTOREN

Michael Meyns

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