taz.de -- Putin und der Ukrainekonflikt: Nerven wie ein Mungo

Was Russlands Präsident will, weiß niemand genau. In seinem Taktieren aber orientiert er sich erkennbar an seinem Lieblingsautor Rudyard Kipling.
Bild: Was er will, weiß niemand genau: Der russische Präsident Putin

Betrachten wir es mal literarisch und nehmen Rudyard Kiplings „Dschungelbuch“ zur Hand. Der Nobelpreisträger war auch ein Meister des Imperialismus – keine sehr moderne Lektüre. Und doch lohnt ein Blick in die Erzählungen des Briten, der über Mogli, Baghira und Balu schrieb. Denn hier lässt sich etwas lernen über einen anderen Meister des Imperialismus: Wladimir Putin.

Was er will, weiß niemand genau. Sicher ist, dass er bewusst mit dem Feuer spielt und seine Erpressungsversuche gegen den Westen nicht so schnell aufgeben wird. Auf Signale der Entspannung folgen umso schärfere Forderungen an die USA und die Nato. Raketenstarts wechseln sich mit Diplomatie ab. [1][Putin telefoniert] mit Frankreichs Präsidenten und dem deutschen Kanzler – beide hatte er durch vermeintliche Zusagen der Deeskalation schon letzte Woche gefoppt.

Moskau testet buchstäblich die Grenzen aus, auf Kosten der [2][Ukraine]. Eine zynische Inszenierung. Putin geht es um reine Geopolitik, bei der der eigene Machtanspruch zur Not auch mit militärischen Mitteln durchgesetzt wird. Wladislaw Surkow, Putins einstiger Chefunterhändler beim [3][Minsker Abkommen], auf dem der Kremlherr in diesen Tagen so sehr beharrt, schreibt in einem scharfen Kommentar, dass Russland die Schmach, die dem Land im Diktat-Frieden von Brest-Litowsk durch das deutsche Kaiserreich zugefügt worden sei, nicht hinnehmen werde. In diesen Grenzen zu bleiben, sei obszön. Surkow spricht von angewandter Geopolitik, Putin betreibt sie. Und da wären wir wieder bei Kipling.

Putin zählt den Briten zu seinen Lieblingsautoren und zitiert gern aus seinen Stücken, vor allem, wenn er seinen vermeintlichen Gegner lächerlich machen will. Die USA sind für ihn Shir Khan, der Tiger, um den Europa scharwenzelt wie die Hyänen. Durch Kiplings Roman „Kim“ fand der Begriff „Great Game“, der den historischen Konflikt zwischen Großbritannien und Russland um die Vorherrschaft in Zentralasien beschreibt, größere Verbreitung. Mit seinen Plänen einer neuen Sicherheitsarchitektur in Europa betreibt Moskau eine Art New Great Game.

Auch die jüngste Operation in der Ostukraine trägt angeblich einen Namen, die auf Kiplings Erzählung verweist: „Der Wurf des Mungos“. Der Mungo Rikki-Tikki-Tavi aus dem „Dschungelbuch“ gilt als Beschützer der Menschheit. Der Angriff dieses Raubtiers funktioniert folgendermaßen: Es versucht, die Schlange mit fingierten Attacken erst mürbe zu machen – um sie dann mit einem echten Angriff niederzustrecken. Dieses Spiel mit den Nerven beherrscht auch Putin.

21 Feb 2022

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AUTOREN

Inna Hartwich

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