taz.de -- Impfpflicht in Österreich: Scherben der eigenen Politik

Die Corona-Impfpflicht in Österreich kommt. Die zu erwartenden harten Debatten hätte sich die Regierung ersparen können – durch bessere Aufklärung.
Bild: Pflicht wird zur juristischen Frage: Impfung im Bezirk Schwaz in Österreich

Wie heißt es so schön? Man soll nie etwas ausschließen. Österreichs Bundesregierung von ÖVP und Grünen, die eine Impfpflicht die längste Zeit kategorisch ausgeschlossen hatte, steht vor den Scherben ihrer eigenen Coronapolitik und muss angesichts ausufernder Neuinfektionen und geringer Impfbereitschaft die Notbremse ziehen.

Ursprünglich war man von einer 80-prozentigen Impfquote nach dem Sommer ausgegangen. Der damalige Kanzler [1][Sebastian Kurz (ÖVP)] hatte „einen Sommer wie damals“ ausgerufen und die Pandemie „für alle, die geimpft sind“, für beendet erklärt. Das böse Erwachen kam, als die Intensivstationen in manchen Regionen vor dem Kollaps standen.

Jetzt also doch Impfpflicht. Beginnen soll sie am 1. Februar. Juristen geben grünes Licht: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sieht den Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit als gerechtfertigt, wenn damit höhere Werte wie der Schutz der Bevölkerung vor einer potenziell tödlichen Krankheit verteidigt werden. Dass die milliardenfach erprobten Vakzine bei geringer Gefahr von Nebenwirkungen vor schwerem oder tödlichem Verlauf schützen, ist hinreichend belegt.

Doch das Glaubwürdigkeitsproblem werden die Spitzen der Regierung nicht los. Jetzt fühlen sich die Krawallmacher vom [2][Schlage des FPÖ-Chefs Herbert Kickl] bestätigt, die schon gegen eine „Zwangsimpfung“ zu Felde zogen, als davon noch lange nicht die Rede war. Insgeheim mag man hoffen, dass bis Februar die angepeilten 85 Prozent der Bevölkerung den erlösenden Stich abgeholt haben.

Die weniger ideologisch geleiteten Impfskeptiker mögen die Pflicht sogar begrüßen, weil sie sich gegenüber den hundertprozentigen Impfgegnern mit Verweis auf den staatlichen Zwang herausreden können. Aber es wird immer noch viele geben, die lieber ein Bußgeld zahlen oder sich gar als „Märtyrer“ einsperren lassen, als sich die Nadel in den Oberarm stechen zu lassen. Die zu erwartende Hysterie hätte man sich durch eine zeitgerechte Aufklärungs- und Motivationskampagne ersparen können.

30 Nov 2021

LINKS

[1] /Nach-Kanzler-Ruecktritt-in-Oesterreich/!5810076
[2] /Corona-Proteste-in-Wien/!5816765

AUTOREN

Ralf Leonhard

TAGS

Grüne Partei Österreich
Schwerpunkt Coronavirus
Österreich
Impfung
ÖVP
Grüne Partei Österreich
Österreich
Österreich
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus

ARTIKEL ZUM THEMA

Regierung in Österreich: Posten statt Prinzipien

In Österreich sind Papiere aufgetaucht, in denen Regierungsparteien Positionen unter sich aufteilten. Warum haben die Grünen da mitgemacht?

Das politische Ende von Sebastian Kurz: Master of Desaster

Der Egozentriker Sebastian Kurz hat Österreich polarisiert. Mitten in der Pandemie hinterlässt er nun einen gewaltigen Scherbenhaufen.

Österreichs Exkanzler zieht sich zurück: Kurz mal Papa statt Politiker

Der einstige Kanzler Österreichs hat seinen Rückzug aus der Politik verkündet. Die Geburt seines Sohnes habe ihm gezeigt, dass es Wichtigeres im Leben gebe.

Vorurteile gegen Ungeimpfte: Impfpflicht zur Beruhigung

Die Ungeimpften sind keine homogene Gruppe, viele sind durchaus zur Impfung bereit. Eine Pflicht zum Piks könnte ihr Dilemma beenden.

Wegen zu niedriger Impfquote: Pflicht zum Piks in Österreich

In der Alpenrepublik kommt im Februar die allgemeine Covid-19-Impfpflicht. Einige Fragen sind aber noch offen – etwa die, ab welchem Alter sie gilt.

Nachrichten in der Coronakrise: Omikron in Europa

Überall in Europa werden die ersten Omikron-Fälle bestätigt. Der Impfstoffhersteller Moderna arbeitet bereits an einem Vakzin für die neue Coronavariante.

Europäische Union in der Pandemie: Europa ohne Plan

Trotz der akuten Pandemielage tut sich die EU schwer, angemessen auf die Krise zu reagieren: Klare Ansagen und einheitliche Regeln fehlen.