taz.de -- Die Wahrheit: Henriette
Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit: Heute darf sich die geneigte Leserschaft an einem Poem erfreuen, das vor Hingabe zerfließt.
Einmal saß die holde Henriette
Neben mir in meinem Stammlokal;
Und wir teilten Bierchen und Bulette
Und bestellten beides gleich noch mal.
Hierauf trank die holde Henriette
Noch drei Bommerlunder und derweil
Frug sie, ob ich was dagegen hätte,
Wenn … – ich sagte: „Ganz im Gegenteil.“
Und da lachte sie, die Henriette,
Und sie küsste mich wie nicht von hier;
Ach, der Kuss, er schmeckte nach Bulette
Und nach Bommerlunder und nach Bier,
Doch er schmeckte auch nach Henriette
Und nach manchem, was unnennbar ist:
Leopard? Lakritze? Na, ich wette,
Niemals hat mich jemand so geküsst.
Leider stand die holde Henriette
Danach auf und griff nach ihrem Schal,
Schnürte sich die linke Stiefelette,
Strich mir übers Haar ein letztes Mal.
Schon im Gehen dreht sich Henriette
Noch mal um und flüstert: „Tschüs, min Jung!“
Und entschwebt. So seh ich die kokette,
Konfitürensüße Henriette
Heute noch in der Erinnerung.
11 Nov 2021
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