taz.de -- Zapfenstreich in Berlin: Eine Frage der Symbolik

Als militärisches Ritual lässt der Zapfenstreich kaum Raum für Ambivalenz. Die Kritik von Linken und Kirchen ist nicht falsch. Doch was ist die Alternative?
Bild: Würdigung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr am 13.10.2021

Jetzt ist [1][Deutschlands Afghanistan-Krieg] richtig vorbei. Am Mittwoch haben ihn Bundeswehr und Politik [2][in Berlin symbolisch noch einmal beendet]. Fackeln, Märsche, Strammstehen: Mit militärischen Ritualen hat der Staat die beteiligten Soldat*innen geehrt. Fast schon rituell ist auch die dazugehörige Kritik von links, in der der Zapfenstreich als Relikt aus vordemokratischen Zeiten abgelehnt wird. Diese Kritik ist nicht falsch, wirft aber eine neue Frage auf: Was ist die Alternative?

Eine symbolische Würdigung eines solchen Einsatzes muss sein, egal, wie man ihn politisch bewertet. Die klare Mehrheit der Bundestagsparteien hat ihn beschlossen, die Bundeswehr war im Auftrag der deutschen Gesellschaft in Afghanistan. Sie hatte dort die größte Aufgabe ihrer Geschichte zu bewältigen. Die Soldat*innen haben Risiken auf sich genommen und Leid erfahren, auch wenn sie damit bei Weitem [3][nicht die Einzigen waren].

Der Durst deutscher Soldat*innen nach Ehrerbietung wirkt oft befremdlich. Im konkreten Fall ist der Wunsch nach einer grundsätzlichen Anerkennung aber verständlich. Wichtig ist diese Anerkennung gerade auch wegen des Scheiterns des Einsatzes: Viele Soldat*innen fragen sich, wofür sie in Afghanistan eigentlich Opfer gebracht haben. Diese Sinnsuche birgt die Gefahr einer Abwendung von den demokratischen Parteien, die den Auftrag zum Krieg erteilt haben. Das Rechtsextremismusproblem der Armee könnte langfristig noch wachsen.

Das Problem am Zapfenstreich ist aber: Als militärisches Ritual lässt er kaum Raum für Diskurs und Ambivalenz. Er soll zusammenschweißen – neben Dank und Anerkennung bleibt in so einem Rahmen kaum Platz für Kritik und Selbstkritik.

Ein ziviler Festakt könnte das eher leisten. Und er würde den Soldat*innen vielleicht auch mehr von dem öffentlichen Interesse bescheren, das sie sich wünschen. Für die postmilitärische Gesellschaft wäre der Zugang zumindest leichter als zu einem Fackelmarsch, den sie am Ende doch eher als Kuriosum wahrnimmt – selbst wenn er vor dem Bundestag stattfindet und live in der ARD läuft.

13 Oct 2021

LINKS

[1] https://www.tagesschau.de/ausland/afghanistan/bundeswehr-abzug-afghanistan-107.html
[2] /Ende-des-Afghanistan-Einsatzes/!5807796
[3] /Schicksal-einer-Ortskraft-in-Afghanistan/!5804025

AUTOREN

Tobias Schulze

TAGS

Afghanistaneinsatz
Schwerpunkt Afghanistan
Bundeswehreinsatz
Bundeswehr
Evakuierung
IG
taz-Adventskalender
Schwerpunkt Angela Merkel
Bundeswehr
Schwerpunkt Afghanistan
Schwerpunkt Afghanistan
Schwerpunkt Afghanistan
Schwerpunkt Afghanistan

ARTIKEL ZUM THEMA

taz.berlin-Adventskalender (3): Die ganz große Musik-Koalition

Unser Autor erwärmt sich am übereinstimmenden Musikgeschmack von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Rot-Grün-Rot in Berlin. Und jetzt Schlager!

Bundeswehr-Dirigent über Zapfenstreich: „Da spielt Tuba statt E-Bass“

Reinhard Kiauka dirigiert beim Abschied von Angela Merkel das Blasorchester. Mit ihren Musikwünschen hat ihm die Kanzlerin Probleme bereitet.

Ermittlungen des Generalbundesanwalts: 150 private deutsche Krieger

Zwei ehemalige Bundeswehrsoldaten sollen den Aufbau einer Söldnertruppe geplant haben. Einsatzort: Der Bürgerkrieg in Jemen.

Anschlag in Afghanistan: Dutzende Tote in Kandahar

In einer Moschee in Afghanistan sind mindestens 37 Menschen getötet worden. Mehrere Selbstmordattentäter zündeten ihre Sprengsätze.

Ende des Afghanistan-Einsatzes: Zapfenstreich vor dem Reichstag

Die Politik ehrt am Mittwoch deutsche Soldat*innen. Kritik an den Zeremonien kommt von Linken und aus der evangelischen Kirche.

Schicksal einer Ortskraft in Afghanistan: „Warum haben sie uns vergessen?“

Masoud Azami war Ortskraft in Afghanistan. Seit Wochen versteckt er sich in Kabul, hat Angst um sich und seine Kinder. Wie konnte das passieren?

Aktuelle Nachrichten zu Afghanistan: Der Westen evakuiert

Die Taliban befinden sich wenige Kilometer vor Kabul. Viele Staaten evakuieren ihre Botschaften. Fluchtbewegungen und Menschenrechtsverletzungen werden erwartet.