taz.de -- Die Wahrheit: Parlierunlust bei Pärchen

Wer alleine speist, taucht ein in eine Welt der dröge schweigsamen Untoten an den Nebentischen. Wehe aber, sie bemerken einen…

Allein essen zu gehen, ist angenehmer als in Gesellschaft. Zum einen muss man nicht auf den Teller des Gegenübers schmachten, weil der etwas viel Leckereres bestellt hat. Und zum anderen kann man in Restaurants Menschen belauschen. Jedenfalls wenn sie sprechen. An Urlaubsorten ist es oft still in den Speisesälen. In der letzten Woche besuchte ich allein ein Gasthaus, das bei Touristen äußerst beliebt ist. Ich saß mit drei mutmaßlichen Heteropaaren mittleren Alters in einem Raum – und man hätte eine FFP2-Maske fallen hören können, so leise war es.

Ein Paar hatte sich einander gegenüber platziert und schaute stumm in verschiedene Richtungen. Nur ihre Messer quietschten auf dem Porzellan. Ihre Blicke trafen sich in den 45 Minuten, in denen ich sie observierte, nicht ein einziges Mal, den Kellner, der beständig Wein nachfüllte, lächelten aber beide an. Das Paar in der Ecke beschäftigte sich derweil separat mit seinen Handys, der Mann grunzte ab und an belustigt, wahrscheinlich hatte er beim Candy Crush einen Zitronen-Drop eingesammelt. Oder seine Liebhaberin hatte den Treffpunkt durchgegeben. Die Frau tippte vertieft auf dem Display herum und stopfte Pasta alla Norma.

Das letzte Paar wirkte zugewandter: Die beiden hockten über Eck und waren sich darum räumlich näher. Als die Frau sich nach dem dritten Hefeweizen räusperte, stellte ich sofort mein Weinglas hin, damit ich alles mitkriegte. „Morgen soll es ja schön werden“, sagte sie. Ich interpretierte das als Auftakt zur Konversation – es beginnt mit einem Wetterkommentar und endet in einer energetischen Diskussion über den Klimawandel.

Oder die Bahnpreise. Oder den Anachronismus in Rudi Carrells Hit „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?“. Aber der Mann rezipierte den Satz anders. Er schaute auf seine Wetter-App, sagte: „Wird wie heute“, und verfiel wieder in Schweigen. Sie versuchte es noch mal: „Die Conni wollte ja gestern eigentlich in den Garten kommen.“ Pause. „Hat sie aber nicht geschafft.“ Der Mann blieb still.

Ich goss mir ein Glas ein und sinnierte darüber, inwiefern das Verhalten der Paare mit ihrem Alter und ihrer sexuellen Orientierung zu tun hat: Sieht man je reife schwule Männer oder lesbische Frauen beim Pärchenessen Löcher in die Luft starren? Und wieso in Dreiteufelsnamen schienen alle so nüchtern? Bei den Mengen an konsumiertem Alkohol würde ich zwar auch nicht mehr parlieren. Aber ich würde singen, schunkeln, auf dem Tisch tanzen.

Plötzlich merkte ich, dass die Paare mich musterten. Der Handy-Tipper beugte sich zu seiner Frau und flüsterte ihr etwas ins Ohr: „… besoffen“, verstand ich. Das stumme Paar, das sich gerade noch ignoriert hatte, grinste sich vielsagend an. Die Wetterfühligen warfen mir in trauter Zweisamkeit einen abschätzigen Blick zu. Wieso waren diese steifen Fremden auf einmal vereint!? Hatte ich etwa die letzten Gedanken laut ausgesprochen? Nun ja. Vielleicht nehmen sie sich ein Beispiel.

3 Sep 2021

AUTOREN

Jenni Zylka

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