taz.de -- Die Wahrheit: Die transtasmanische Blase

Neues aus Neuseeland: Endlich dürfen Australier wieder uneingeschränkt nach Aotearoa reisen – und umgekehrt. Die Freude war groß.

Vor vielen Jahren war ich in Tuvalu. Wenn dort ein Flugzeug landete, war das ein Ereignis: Hunde und Kinder verließen die Startbahn, auf der sonst gespielt und geschlafen wurde, und versammelten sich vor der Flughafenbaracke, um die Neuankömmlinge zu bestaunen. Oft wurde dabei gesungen. Genauso fühlte es sich in Aotearoa an, als nach einem Jahr endlich die ersten Australier landen durften.

Unsere Festung, seit März 2020 von Herrscherin Jacinda Ardern streng abgeriegelt und nur mit Sondergenehmigung und nach zweiwöchiger Hotelquarantäne betretbar, ließ ihre Covid-Zugbrücke runter. Nach langem Hin und Her gibt es endlich die heißersehnte „transtasmanische Blase“ mit Australien. Hat nichts mit Gender oder Geschlechtsumwandlung zu tun, wird aber genauso emotional begleitet.

Vorletzten Montag, als erstmals unsere Brüder und Schwestern aus dem Westen Ozeaniens den Sprung über den Teich schafften und direkt von der Gangway in die Arme ihrer Verwandten laufen durften, war es, als sei die Mauer gefallen: Lachen, Tränen, Küsse, Klatschen. Sektflaschen poppten und Haka-Gesänge erschallten. In Wellington war aus der Luft der 250 Meter lange Schriftzug „Welcome Whānau“ (Willkommen, Familie) zu sehen.

In einem Flugzeug saß Shelley Canobie-Harries aus New South Wales, die nach dreizehn Jahren in ihre neuseeländische Heimat zurückkehrte. Eine ihrer Töchter hielt eine Stoffschlange mit winziger Gesichtsmaske, die ihr ihre Schulklasse zum Abschied genäht hatte. Herzzerreißend verlief auch der Grenzverkehr in die Gegenrichtung: Menschen, die ihre Liebsten seit über einem Jahr nicht gesehen hatten, waren an vorderster Front.

Die große Tourismuswelle kommt noch

Seit Oktober durften Neuseeländer zwar nach Australien reisen, mussten aber durch die teure Quarantäne, deren Plätze über Monate ausgebucht sind. Ab sofort ist sie aufgehoben. Aber ein Risiko besteht, sobald plötzlich aktive Fälle auftauchen – so wie im Januar, als nach einem positiven Covid-Fall in Northland die Bubble-Einbahnstraße wieder geschlossen wurde.

In der Woche zuvor gab es einen dreitägigen Lockdown im westaustralischen Perth, weil jemand zu seiner eigenen Hochzeit nach Indien geflogen war. Wenn man dann gerade auf der anderen Seite des Teichs ist, kann sich der Urlaub bei den Kängurus spontan um den Quarantäneknast verlängern. Und der kann unerbittlich sein. Eine Frau saß im Novotel in Christchurch fest, während ihr Vater nur 45 Minuten Fahrt entfernt im Sterben lag. Sie durfte nicht zu ihm.

Die große Tourismuswelle, die alle Veranstalter herbeisehnen, kommt noch – erst mal landen Freunde und Verwandte. Unsere Skigebiete stehen in den Startlöchern; die Wirtschaft hofft auf eine Milliarde mehr Umsatz. Vorbildlich verhielt sich ein Pärchen aus Queensland, das keine 24 Stunden nach Ankunft das machte, was wir von allen erwarten: Sie besuchten Hobbiton, wo „Der Herr der Ringe“ gedreht wurde.

4 May 2021

AUTOREN

Anke Richter

TAGS

Kolumne Die Wahrheit
Neuseeland
Pandemie
Reisen
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Rassismus
Kolumne Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
Lesestück Recherche und Reportage
Kolumne Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit

ARTIKEL ZUM THEMA

Coronapolitik in Neuseeland: Eingesperrt und dankbar

Wer nach Neuseeland einreist, muss in Quarantäne. Wie fühlt sich das an, 14 Tage lang isoliert in einem Hotel? Ein Erfahrungsbericht.

Coronavirus und Rassismus in Australien: Militär soll Lockdown durchsetzen

Im multiethnischen Westen Sydneys soll das Militär über die Lockdownregeln wachen. Kritiker sehen darin ein racial profiling in der Coronapolitik.

Die Wahrheit: Terrorfilm mit Heiliger

Neues aus Neuseeland: Hollywood plante, das Attentat auf die Moschee von Christchurch zu verfilmen. Im Mittelpunkt: Jacinda Ardern.

Die Wahrheit: Samoanisches Roulette

Neues aus Neuseeland: Im Südseestaat Samoa tobt ein politischer Kampf zwischen einem Alt-Patriarchen und einer Grande Dame.

Die Wahrheit: No Bier, no Harry Potter

Neues aus Neuseeland: Cancel Culture nach Art Aotearoas lässt eine Brauerei austrocknen und ein Fantasy-Quiz ausfallen.

Kampf gegen Coronamythen: Eine Dosis Gegengift

In Neuseeland, einem Land fast ohne Corona, blühen die Verschwörungserzählungen um das Virus – ganz besonders in der Musik- und Esoterikszene.

Die Wahrheit: Trauer um Halbgott

Neues aus Neuseeland: Auf der kleinen Südsee-Insel Tanna wird der kürzlich verstorbene Prinz Philip wie ein Heiliger verehrt.

Die Wahrheit: Bedrohte Wiggles

Neues aus Neuseeland: Was für die Deutschen der Ohrenterrorist Rolf Zuckowski ist, sind die „Wackler“ down under.

Die Wahrheit: Queen vom Thron

Neues aus Neuseeland: Auch down under hatte das Meghan-Beben erhebliche Auswirkungen. Die Untertanen mucken auf.