taz.de -- Träumen statt kicken: Drei Tage währte das Glück
Die Pandemie hat uns Freizeitfußballer hart getroffen. So bleibt einem nur, in den schönsten Bolzplatz-Erinnerungen zu schwelgen.
Solange ich denken kann, spiele ich Fußball. Das stimmt natürlich nur so halb, denn als awMü50 (alter weißer Mann über 50) verbringe ich mittlerweile verletzungsbedingt mehr Zeit an der Seitenauslinie als auf dem Platz. Mal zwickt die Achillessehne, mal schmerzt das Kreuz, nachdem ich vorher noch stundenlang, gefühlt wie ein junger Gott, über den Rasen gefegt bin.
Die Pandemie hat meine Fußballkumpels und mich jedenfalls hart getroffen. Ein Jahr lang schon ist es mit der unbeschwerten Rauferei um den Ball vorbei. Dabei gibt es kaum Menschen, die ich in den vergangenen 20 Jahren regelmäßiger gesehen habe, als die meiner Freizeitfußballmannschaft. In den letzten Wochen war ich so verzweifelt, dass ich zweimal auf dem Bolzplatz um die Ecke spontan mit jungen Franzosen gespielt habe. Als sich die Polizei näherte, raunten wir ihnen zu: „Attention, les flics!“ – doch die interessierten sich nicht weiter für uns. Jetzt, wo die Zahlen wieder rasant steigen, lasse ich das aber lieber sein.
Im Vorjahr haben wir, als es zwischendurch erlaubt war, einige Trainingseinheiten mit gebührendem Abstand voneinander absolviert; dann spielten wir mit nur zwei Kontakten, weil man dadurch den Ball schneller abgeben muss und sich so nicht zu nahe kommt (Vorsicht, Aerosole!). Doch eigentlich denken wir: ein Königreich für das freie Spiel! Einfach mal, ohne weiter nachzudenken, dem Ball hinterherrennen und sich nach einem gelungenen Doppelpass so freuen, als sei man der „G.O.A.T.“ („Greatest of all time“).
Einer aus meinem Team hat sich nun ein verwegenes Konzept ausgedacht: Wir gründen eine „Vereinigung“ für Reha-Fußball, damit wir ein offiziöses Schreiben haben, falls es Ärger gibt. Dazu machen alle vor Ort einen Schnelltest, ausgeführt vom mitspielenden Krankenpfleger. Und ganz wichtig: Beim Kick müssen alle möglichst leise sein, damit uns keiner der Nachbarn verpfeift.
Je älter, desto lauter
Was allein schon eine mission impossible ist: Wenn beim Fußball eines mit dem Alter zunimmt, dann ist es die Lautstärke auf dem Platz. Je schlechter die eigene Kondition, desto größer das Gemeckere über jede vertane Chance. Die haben immer die anderen vergeigt und nie man selbst. Und immer auf die Kleinen: Mir unterstellen meine Mitspieler (!) inzwischen sogar, ich würde schneller fallen als Neymar!
Das Einzige, was daran stimmt: Gelegentlich sage ich, ich sei ein „Strandfußballer alter Schule“. Das stimmt aber auch nur so halb. Denn als (in Berlin gestrandeter) Berliner bin ich auf den Schotterplätzen dieser Stadt groß geworden (die gibt es längst nicht mehr) und nicht an der Copacabana. Während der Pandemie bin ich beim Stöbern durch alte Fotos allerdings auf all die Orte gestoßen, an denen ich gekickt habe – am Strand der lang gestreckten Bucht des marokkanischen Essaouira, im Staub der Kapverden, auf Betonplätzen in Kuba, im Schlamm des Amazonas und in der Rocinha, einer der größten Favelas von Rio de Janeiro.
Aber nichts ist schöner als irgendwo bei Ebbe am Strand, wenn das Meer einen nassen Streifen zurücklässt, der so glatt und eben ist, dass selbst die Rasenpfleger im Maracanã-Stadion verzückt wären. Jetzt liege ich bei mir auf dem Sofa im selbst gewählten Lockdown in Berlin-Mitte und denke an den Strand Taipu de Fora auf der Halbinsel Maraú, Bahia. Morgens schrieb ich an einem Radiofeature; nachmittags joggte ich den Strand hinunter bis zu der Stelle, wo bei Flut zwei in den Sand gerammte Holztore aus den Wellen ragen, bei Ebbe aber ein Traum von Sandplatz freigelegt wird.
„Aber, wie das so ist [1][hienieden]…“ (K. Tucholsky), drei Tage nur währte das Glück. Dann ward eins der Tore von den Fluten verschluckt.
7 Apr 2021
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