taz.de -- Neue Musik aus Berlin: Lemmy, der Leibhaftige
Wie sehr Rotz, Schweiß und Rock derzeit fehlen, zeigen zwei aktuelle Live-Alben. Eines ist von Motörhead, das andere von den Jazzern Koma Saxo.
Zuletzt war an dieser Stelle – [1][im Zusammenhang mit dem neuen Schneider-TM-Album „The 8 Of Space“] – von Motörhead die Rede. Daran knüpfen wir gerne an. Denn wie sehr Motörhead und Lemmy, wie sehr wummernde Lautsprechertürme, wie sehr Rotz und Schweiß und Rock derzeit fehlen, merkt man, wenn man [2][das neue Motörhead-Album „Louder Than Noise … Live in Berlin“] hört.
Zu Berlin hatte die Band immer eine besondere Beziehung, eigentlich konnte man sich darauf verlassen, dass sie Ende des Jahres irgendwann vorbeikam. Auch ihr letztes Konzert kurz vor Lemmys Tod hat sie im Dezember 2015 in Berlin gegeben.
Auf dem 2012 (im Velodrom) eingespielten Live-Album weiß nun schon ein dahin gekrächztes „Guten Abend“ von Lemmy oder ein stumpfes „How are you Motherfuckers“ von Gitarrist Phil Campbell zu erfreuen. Und erst die Songs. Viele große Hits wie „Killed by death“, [3][„Over the top“], “Overkill“ und, natürlich, “Ace Of Spades“ werden in Hochform dargeboten, einmal mehr fällt dabei auf, welch perfekte Symbiose aus räudigem Rock ’n’ roll, Metal und Punk diese Band all die Jahre hingelegt hat. Und jetzt alle: „You know I’m born to lose, and gambling’s for fools/ But that’s the way I like it baby/ I don't wanna live forever/ And don’t forget the joker!“
Unser Joker für diese Kolumne, um mal unelegant überzuleiten, ist Koma Saxo. [4][Das Berliner Jazz-Quintett dieses Namens] hat ebenfalls [5][ein tolles Livealbum veröffentlicht], aufgenommen beim We Jazz Festival in Helsinki 2019.
Darauf ist die Band um den schwedischen Kontrabassisten Petter Eldh mit acht ausschweifenden, wendigen, verfrickelten Stücken zu hören. Eldh hat ganze drei Saxofonisten um sich geschart – es überrascht überdies nicht, dass er ein Fan von Peter Brötzmann ist. Irre Freejazz-Stücke in hohem Tempo (etwa „Puls Koma“) haben Koma Saxo genauso drauf wie gemächlichere Stücke mit Folk-Anleihen („Fiskeskärsmelodin“).
Auch Balladen wie „Waltz Me Baby, Waltz Me All Night Long“ (von Even Helte Hermansen/Bushman’s Revenge) sind im Repertoire. Sie geleitet einen unsanft ins Koma, diese Band. Gut so. Jens Uthoff
2 May 2021
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