taz.de -- Studie zur Coronapolitik: Über die Wirksamkeit
Wissenschaftler haben die Instrumente des Lockdowns evaluiert. Auch von Portugal kann man lernen – doch eigentlich sind die Erkenntnisse nicht neu.
Im Lockdown befindet sich Deutschland seit mehr als fünf Monaten, im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ist hier aber weiterhin vieles geöffnet. Kinder gehen unlängst wieder in Schulen und Kitas, [1][die Pflicht zum Homeoffice] galt nur eingeschränkt und wurde auch nicht wirklich kontrolliert. Geschäfte durften unter Hygienebedingungen wieder öffnen. Und Ausgangssperren gibt es nur in einigen Landkreisen und Städten in Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, nicht aber flächendeckend – obwohl in vielen weiteren Gegenden die Inzidenz von 100 längst überschritten ist. Angesichts der weiter drastisch steigenden Infektionszahlen stellt sich die Frage: Muss der Lockdown verschärft werden? Wenn ja, mit welchen Maßnahmen?
[2][Für den SPD-Gesundheitspolitiker und Epidemiologen Karl Lauterbach] ist klar: „Ohne einen scharfen Lockdown lässt sich die dritte Welle nicht brechen.“ Zusätzlich zu den bereits geltenden Maßnahmen plädiert er für Ausgangsbeschränkungen von 20 Uhr bis 6 Uhr, Testpflicht für Betriebe sowie verpflichtendes Homeoffice, „das auch wirklich umgesetzt wird“. Erst wenn der R-Wert, der die Verbreitung des Virus beschreibt, deutlich unter 1 liegt, könne vorsichtig geöffnet werden.
Lauterbach verweist auf [3][eine Studie der Universität Oxford], in der untersucht wurde, welche Coronamaßnahmen in unterschiedlichen europäischen Ländern bei der zweiten Welle im vergangenen Herbst am meisten gewirkt haben. Das Ergebnis ist eindeutig: Strenge Kontaktverbote, etwa die Begrenzung aller Treffen auf maximal zwei Personen, hatten demnach besonders große Effekte. Sie verringerten den R-Wert um geschätzt 26 Prozent. Bei weniger strengen Kontaktbeschränkungen, etwa erlaubten Treffen von zwei Haushalten mit mehreren Angehörigen, war die Maßnahme deutlich weniger effektiv.
Auch nächtliche Ausgangsbeschränkungen sind den Forscher:innen der Studie zufolge eine wirksame Maßnahme, ihr Beitrag zur Reduktion des R-Werts wird auf rund 13 Prozent geschätzt. Die Schließung der Gastronomie wird mit einer Reduktion von 12 Prozent als ähnlich effektiv eingeschätzt.
Das Beispiel Portugal
Um diese Werte berechnen zu können, hatten die Wissenschaftler die Coronafallzahlen sowie die verhängten Maßnahmen aus dem Zeitraum von August 2020 bis zum 9. Januar in mehreren europäischen Ländern analysiert und auf die einzelnen Maßnahmen heruntergerechnet. Die hochinfektiöse britische Variante B.1.1.7 war in den untersuchten Regionen in diesem Zeitraum noch nicht vorherrschend.
Für die Frage, welche Maßnahmen bei der sehr viel ansteckenderen Virusvariante wirken, lohnt sich ein Blick nach Portugal. Dort waren die Infektionszahlen zum Jahreswechsel explodiert. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag zeitweise über der Marke von 800. Um der Pandemie Herr zu werden, verhängte die portugiesische Regierung Mitte Januar einen so harten Lockdown, wie es ihn in Deutschland zu keinem Zeitpunkt dieser Pandemie gegeben hatte. Die Menschen durften ihre Häuser nur aus dringendem Anlass verlassen – etwa zur Arbeit oder für Arztbesuche.
Die Maßnahmen gelten zum Teil bis heute. Mit Erfolg: Inzwischen weist Portugal mit einer Inzidenz von 29 eine der niedrigsten Infektionsraten in der EU auf. Trotzdem wird es auch über Ostern keine größeren Lockerungen geben. Das Land will seinen Erfolg schließlich nicht gleich wieder verspielen.
30 Mar 2021
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