taz.de -- Reisefrust in Coronapandemie: Zum Davonlaufen

Der Mensch ist neugierig. Er will etwas sehen von der Welt. Die Pandemie lässt das nicht zu. Es reicht mit Spaziergängen in meiner Umgebung.
Bild: So langsam wird's öde: Spaziergänge durch Parks und Straßen im eigenen Kiez

Nicht nur einmal habe ich den Satz von scheinbar wohlmeinenden Männern gehört (Ja, es waren immer Männer, dazu gleich noch): Ich müsse schon auch mal darüber nachdenken, wovor ich denn weglaufen würde mit meinen vielen Reisen. Nein! Habe ich jedes Mal geantwortet. Ich laufe nicht vor etwas weg, ich reise nur einfach gerne. Dass Männer so zu einer Frau sprechen, hat vielleicht damit zu tun: Wenn Männer viel reisen, haben sie eben das Entdecker-Gen, sie sind neugierig. Wenn Frauen reisen, muss hinterfragt werden, warum das so ist.

Ich bin in einer friedlichen Familie aufgewachsen. Geprügelt wurde ich nie. Bis auf ein einziges Mal. Ich war fünf Jahre alt und ging – das war damals normal – mit einem Nachbarskind alleine vom Kindergarten nach Hause, das dauerte etwa eine halbe Stunde. Wir zwei Mädchen, allein. Und an jenem Tag waren wir nach über eineinhalb Stunden immer noch nicht zu Hause. Meine Mutter muss halb irre gewesen sein vor Angst. Als ich endlich klingelte, verdrosch sie mich. Aus Erleichterung, würde ich heute sagen. Der Grund für die „Verspätung“: Wir wollten Umwege gehen. Wir wollten einfach mal etwas anderes sehen.

Es ist ein Urimpuls des Menschen. [1][Der Mensch ist neugierig], er will etwas sehen von der Welt. Frühmenschen richteten sich auf, der Homo erectus nahm die Beine in die Hand und verließ den Ostafrikanischen Graben. Die Polynesier setzten sich in Kanus und paddelten über den endlosen Südpazifik. Die Wikinger wollten wissen, was jenseits des Atlantiks liegt, die Griechen segelten und ruderten in Richtung Italien und gründeten die Magna Graecia. Und so mancher kleine Hosenscheißer büchst aus, nur mit einer Windel bekleidet, raus aus dem heimischen Garten, einfach mal nachsehen, was die Welt jenseits des Gartenzauns zu bieten hat.

Weg von der Routine

Und so geht es mir eben auch. Ich gehe normalerweise gerne zu Fuß. Aber ehrlich gesagt: Ich habe die Schnauze voll von den Spaziergängen in meiner Umgebung. Ich kann die Parks, die Straßen, meinen Kiez nicht mehr sehen. Natürlich ist es schön, sich mit lieben Menschen auszutauschen. Aber was soll man erzählen, wenn man nichts erlebt? Und ich bekomme Aversionen gegen meine Wohnung.

Man denkt ja viel nach jetzt. Was soll man auch tun als Reisejournalistin? Und so bin ich zu dem Schluss gekommen: Es stimmt doch – ich bin mit meinen Reisen weggelaufen. Weg von einem langweiligen Leben. Weg von der Routine. Weg vom Vorhersehbaren. Hin zu Fremden. Hin ins Fremde. Hin zu staubigen, schlechten Straßen, zu unbekannten Speisen, umgeben von Sprachen, von denen man kein Wort versteht. Dinge sehen, die man nicht kapiert.

Doch das wird noch dauern. Ich werde weiter versuchen, auf 10.000 Schritte täglich zu kommen. 10.000 Schritte durch meine Nachbarschaft. Es ist zum Davonlaufen.

21 Mar 2021

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Barbara Schaefer

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