taz.de -- GameStop, Impfstart und Lübcke: Das Ende des Kapitalismus

Die Coronakrise verstärkt Ungleichheiten in der Gesellschaft. Derweil scheitert die Vergabe von Impfstoff in der Europäischen Union.
Bild: Für den verschleppten Impfstart zeigt Ursula von der Leyen Verständnis

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Friedrich Küppersbusch: Putin lässt nichts aus, Russophobie zu schüren.

Und was wird besser in dieser besser?

Willy Brandt ist tot, den können die Grünen nicht aus der Partei schmeißen.

Corona als Ungleichheitsvirus: Laut einem Oxfam-Bericht wird die Kluft zwischen Arm und Reich weltweit größer. Linken-Chefin Katja Kipping sagt: „Die Versorgung mit Impfstoffen scheitert an Profitinteressen der Konzerne.“ Ist Kapitalismus doch nicht die beste Therapie?

Schwer zu verstehen, dass etwa bei Bayer 100.000, bei Merck 50.000 MitarbeiterInnen viele bunte Smarties herstellen, während alle Welt auf Impfstoff lauert. Darum geht’s: Die Labore von Großkonzernen haben sich erfrischend durchblamiert, getreu dem Firmenmotto „Nehmen Sie zwei Aspirin und kommen Sie nächsten Monat noch mal vorbei.“ Sie könnten zugelassene Impfstoffe findiger Konkurrenten in großen Massen herstellen. Linke, auch Grüne und SPD experimentieren derweil im Sprachlabor mit Wendungen wie „in letzter Konsequenz verpflichtende Freigabe von Lizenzen“. Im Klartext: 50 Shades of Enteignung. Weil aber die Union allein vom Wort „Enteignung“ schlimm krank wird, fehlt der politische Wumms, die IG Farben der Herzen zu erzwingen. Simple Triage: Markt-Ideologie oder Menschenleben.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen zeigt Verständnis für den schleppenden Impfstart und sieht AstraZeneca in der Pflicht. Sieht sie das richtig?

Es ist unseriös, ein Produkt zu verkaufen, das man nicht hat. Oder ein Produkt – mehreren Kunden. Beides zusammen muss man erst mal hinkriegen. Das wirft die EU AstraZeneca vor: Ihr Vakzin taugt nur mäßig, und vereinbarte Lieferungen blieben heimlich in Großbritannien. Zur Strafe postet von der Leyen den geschwärztesten Beipackzettel aller Zeiten: der Liefervertrag als Kreuzworträtsel. Wettbewerber Curevac dagegen veröffentlicht seinen Deal komplett. Dort hatte sich die Bundesregierung mit 300 Millionen Euro beteiligt. Mal notieren den Fall, wenn Neoliberale wieder gegen Staatsbeteiligungen rumknödeln.

Der AfD-Landesverband in Sachsen-Anhalt wird nun vom Verfassungsschutz beobachtet. Warum nicht gleich die AfD auf Bundesebene?

Der Verfassungsschutz hat nur einen Schuss: Wenn die AfD sein Gutachten, 1.000 Seiten stark, vor Gericht zerlegt – zieht sie mit amtlichem Siegel ins Superwahljahr: Toll demokratisch, behördlich erwiesen verfassungstreu – TÜV bis mindestens 1933. Davor graut Innenminister Horst Seehofer, und deshalb hat er das bereits fertige Gutachten noch mal einkassiert.

Junge Menschen haben sich bei reddit zusammengetan, haufenweise GameStop-Aktien gekauft und so den Kurs in die Höhe getrieben. Großinvestor:innen haben dadurch massiv Geld verloren. Haben Sie Mitleid mit den Börsenhändler:innen? Oder ist das die Rückkehr von Occupy Wall Street?

Nein, es zeigt: Börse ist ein ausgewildertes Onlinespiel.

Pimkie schließt jede zweite Filiale in Deutschland, Douglas jede siebte – und Karstadt Kaufhof braucht einen enormen Staatskredit: Sind die Fußgängerzonen nach Corona tot?

Mal dumm gegengefragt: Na und? Das Thema Citysterben wird seit Jahren überdacht, hie und da wird gleich die ganze City überdacht. Und nach ein paar Fördermilliarden und durchkonsumierten Sonntagen raucht das Konzept doch ab und hört Tante Emma aus dem Grab lachen. Während der Onlinehandel enthemmt Müllberge auftürmt, Speditionschaos losschickt und Steuern im Lummerland zahlt. Statt kranke Kaninchen füttern mal den Löwen domptieren.

Im Prozess zum Mord an Walter Lübcke verurteilt das Gericht den Hauptangeklagten zwar zu lebenslanger Haft, doch für einen Messerangriff auf den Iraker Ahmed I. wird er freigesprochen. Ein mitangeklagter Rechtsextremist kommt gänzlich straffrei davon. Zeigt sich hier die „volle Härte des Rechtsstaats“?

Das Ding heißt „Rechtsstaat“ und nicht „Hartstaat“. Das Gericht mag ängstlich mit der Beweislage umgegangen sein. Dagegen hilft nicht Härte, sondern Revision, also: Recht.

Und was machen die Borussen?

Dekorieren leere Tribünen mit großflächigen Vereins-Runen. Weniger Zuschauer gleich mehr Werbefläche. Nach Corona könnte die Südtribüne skandieren „Wir stören nur ungern, aber …!“

Fragen: waam, cas

31 Jan 2021

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Friedrich Küppersbusch

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