taz.de -- Genderpolitik des IOC: Lehren aus der Geschichte
Das Internationale Olympische Komitee forciert die Gleichstellung. Fast könnte man vergessen, dass das IOC bis heute ein Männerverein ist.
Ja, es ist besser geworden. Und bald schon wird es noch besser. In Paris will das Internationale Olympische Komitee erstmals in der Geschichte der Spiele ebenso viele Frauen wie Männer an den Start schicken. In Tokio wird der Frauenanteil noch bei 48,8 Prozent liegen. Das Komitee hat die Zeichen der Zeit erkannt: Es postuliert eine Konkordanz von Gleichberechtigung und Gleichstellung, obwohl in allen Ländern weniger Frauen in Sportvereinen eingeschrieben sind; in Deutschland liegt die Zahl bei etwa 36 Prozent.
[1][Es verfasst Grundsatzdokumente zur „Gender Equality“], die mit den Modewörtern „Awareness“ und „Empowerment“ gespickt sind. Das IOC möchte angemessen postmodern sein, es gibt sich aktivistisch und fortschrittswütig. Fast könnte man vergessen, dass die olympische Geschichte eine Geschichte von Männern gewesen ist, vom alten Olympia-Baron de Coubertin bis hin zum aktuellen Präsidenten Thomas Bach.
Bei den ersten Spielen der Moderne, 1896 in Athen, reisten 262 Athleten an – und null Frauen. Vier Jahre später waren zwanzig Frauen dabei. Sie durften Tennis und Golf spielen. Seitdem ist der Frauenanteil von 0,9 Prozent (1904) und 23 Prozent (1984) auf eine Parität angewachsen, was in ähnlicher Form auch die Zahl der Wettbewerbe betrifft. Bei den letzten Winterspielen in Südkorea wurden sogar mehr Frauen-Events ausgetragen (52 Prozent), obgleich die Athletinnen in der Minderheit (41 Prozent) waren.
Damit beschreitet das IOC die durchaus umstrittenen Wege der Affirmative Action, um Missstände in der Vergangenheit gut- bzw. wettzumachen. Dass es dann auch ein paar „Opfer“ des guten Willens gibt, versteht sich von selbst.
Profeministische Großwetterlage
In der Leichtathletik sind das die Geher. Die Traditionsstrecke über 50 Kilometer wird 2024 wahrscheinlich ab- und ein Mixed-Wettbewerb angeschafft. Der deutsche Geher Carl Dohmann findet das nur so mittelprächtig. „Ich glaube, dass die Geschlechtergerechtigkeit hier ein vorgeschobenes Argument ist, um die Strecke ganz zu streichen“, sagt er und regt ein Frauenrennen über 50 km an – oder wenigstens eins über 30 bzw. 35 km. Und weiter: „Einen Mixed-Wettbewerb im Gehen finde ich relativ sinnlos. Gehen ist ein Individualsport.“ Dohmann wird sich fügen müssen, die sportpolitische Großwetterlage ist profeministisch, so wie sie über ein Jahrhundert entschieden männerlastig war.
Erst 1981 wurden zwei Frauen IOC-Mitglieder: die Venezolanerin Flor Isava Fonseca [2][und die Finnin Pirjo Häggman]. Sie sollten sich schnell den Gepflogenheiten der Männergilde anpassen und die verbreitete Mär, Frauen seien die besseren Menschen respektive Funktionärinnen, widerlegen.
Von Fonseca wird berichtet, dass sie mit ihrer Tochter die gehobene Küche der Olympiabewerberstadt Berlin auskostete. Der Spiegel schrieb 1996: „Sechs Tage hintereinander war die ehemalige Springreiterin in den Restaurants unterwegs; die Rechnungen, die den Berliner Olympiawerbern vorgelegt wurden, bewegten sich jeweils um 600 Mark.“ Auch Häggman verstrickte sich in einen Skandal, der sie 2005 zum Rücktritt zwang. Sie und ihr Ehemann hatten von Vergünstigungen der Bewerber Toronto und Salt Lake City profitiert. Sie nannte ihr Vorgehen „naiv“. Korrupt beschreibt es besser.
22 Jan 2021
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