taz.de -- Corona in Spanien: Außer Kontrolle

Die Anzahl von Neuinfizierungen klettert in schwindelerregende Höhen. Die Regierung reagiert mit immer drastischeren Maßnahmen.
Bild: Catering-Mitarbeiter demonstrieren in Barcelona gegen coronabedingte Auflagen für Restaurants

Madrid taz | Die Zahlen sind erschreckend. Spanien wird in den nächsten zwei, drei Tagen eine Million Covid-19-Infizierte überschreiten. Am vergangenen Wochenende wurden knapp 38.000 neue Fälle gezählt, so viele wie nie zuvor. 33.992 Erkrankte sind dem Virus bisher erlegen. Innerhalb der vergangenen zwei Wochen verzeichnete Spanien 312 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und in den letzten sieben Tagen 459 Tote.

Trotz immer drastischerer Maßnahmen – über 60 Gemeinden wurden abgeschottet – ist kein Ende der zweiten Welle in Sicht. Viele Epidemiologen des Landes gehen davon aus, dass sich die Kurve lange auf einem gleichbleibendem Hoch bewegen werde. Der Chef der Krisengruppe, Fernando Simón, ist sogar noch pessimistischer: „Es ist zu erwarten, dass im Winter die Fälle zunehmen, wenn wir nicht alle Maßnahmen strikt einhalten“, warnt er.

Es vergeht kein Tag, an dem nicht neue Maßnahmen bekannt gegeben werden. Seit Dienstag reihen sich die beiden Städte Burgos und Aranda de Duero in die Gruppe der Gemeinden ein, die nur in dringenden Ausnahmefällen betreten oder verlassen werden dürfen. Angeführt wird die Liste von der [1][Hauptstadt Madrid] und acht Vororten. Ab Donnerstag wird mit Navarra im Norden Spaniens erstmals eine ganze autonome Region [2][abgeriegelt]. Nur für Arbeit, Ausbildung oder aus sonstigen triftigen Gründen werden die Checkpoints durchlässig sein.

„Es handelt sich nicht um eine Ausgangssperre“, erklärte die Chefin der Regierung Navarras, María Chivite, am Montag. Es gehe darum, „alle nicht unbedingt notwendigen Aktivitäten einzustellen“. Deshalb werden die Gaststätten geschlossen, der Einzelhandel darf nur bis 21 Uhr öffnen. Private Versammlungen sind ebenfalls verboten. Die Maßnahmen gelten für zwei Wochen. Dass die Grenzschließung erst am Donnerstag in Kraft tritt, hat einen Grund. Das Radrennen Vuelta a España findet zuvor in der Region statt.

Navarra führt

Navarra führt mit knapp 945 Fällen pro 100.000 Einwohnern in den letzten 14 Tagen die Statistik an. Auch Melilla, La Rioja und Aragón liegen bei über 500 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in 14 Tagen und damit der Grenze, die das Gesundheitsministerium festlegte, um einzugreifen. Am anderen Ende befinden sich die Kanarischen Inseln mit nur 77 neuen Fällen.

In der Region Madrid gehen seit einem von der Zentralregierung vor knapp zwei Wochen verhängten teilweisen Lockdown die Zahlen langsam, aber stetig zurück. Jetzt verzeichnet die Hauptstadtregion wieder weniger als 500 neue Fälle pro 100.000 Einwohnern in den letzten zwei Wochen.

Neun Gemeinden der Region Madrid, darunter die Hauptstadt, stehen noch bis zum Samstag unter dem von der Zentralregierung erlassenen Ausnahmezustand. Dieser wird wohl nicht verlängert, da dies ohne die Zustimmung des Parlaments nicht geht und dort die Mehrheitsverhältnisse unklar sind. Vermutlich werden dann wieder erneut einzelne Wohngebiete abgesperrt. Zudem verhandeln Regional- und Zentralregierung, ob es eine nächtliche Ausgangssperre geben wird.

Derweil schrillen die Alarmglocken in Katalonien. In der Region rund um Barcelona könnten schon in einer Woche die Krankenhäuser alle Operationen absagen, da Betten und Intensivstationen für Covid-19-Patienten gebraucht werden.

Versammlungen untersagt

Ab sofort müssen die Geschäfte von 22 Uhr bis 7 Uhr schließen. Gaststätten dürfen nur noch Essen zum Mitnehmen verkaufen. Ausgenommen sind nur die Restaurants in Hotels. Diese dürfen nur Gäste empfangen, die auch im Hause übernachten. Alle Versammlungen sind untersagt.

In den nächsten Tagen wird das Gesundheitsministerium den Regionen eine Liste weiterer Maßnahmen vorlegen. So sollen die Zahl der Fahrgäste in öffentlichen Verkehrsmitteln reduziert und Innenräume von Gaststätten geschlossen werden.

20 Oct 2020

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AUTOREN

Reiner Wandler

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