taz.de -- Vorgeschlagene Reisebeschränkungen: Berlin als Sperrgebiet
Manuela Schwesig und Daniel Günther wollen Ein- und Ausreiseverbote für „Hochrisikogebiete“. Konkret im Blick haben sie Berlin-Neukölln.
Rund acht Stunden konferierte Angela Merkel [1][am Mittwoch mit den 16 Regierungschef:innen der Länder] – angesichts der dürftigen Ergebnisse erstaunlich lang. Aber möglicherweise ist es auch besser, dass nicht viel mehr herausgekommen ist. Denn offenkundig wurde bei dem Treffen im Kanzleramt auch über recht merkwürdig klingende Vorschläge intensiv diskutiert.
Ein erster Hinweis darauf kam kurz nach Beratungsende. [2][„Die Stadt war in ihrer Geschichte mehrfach abgeriegelt, das ist für mich keine Option“], verkündete da Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller. Beruhigend für Menschen, die in Berlin leben – und eigentlich eine Selbstverständlichkeit angesichts der Berliner Historie. Aber warum sah sich Müller überhaupt zu einer solchen Feststellung veranlasst?
Inzwischen ist das bekannt. Denn am Donnerstag plauderte bei „Illner“ im ZDF Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig über einen Vorschlag, für den sie gemeinsam mit ihrem schleswig-holsteinischen Amtskollegen Daniel Günther beim „Coronagipfel“ geworben hatte: Aus- und Einreisebeschränkungen für sogenannte Hochrisikogebiete. „Deswegen muss man ja nicht gleich ganz Berlin lahmlegen“, gab sich Schwesig generös.
[3][Aber Neukölln schon:] Explizit benannte sie den Berliner Bezirk mit seinen aktuell 168 Neuinfizierten pro 100.000 Einwohner:innen binnen sieben Tagen. Schwesig hätte auch noch gut den Bezirk Mitte aufführen können, wo es mit 140 Neuinfizierten ebenfalls nicht gerade gut aussieht. Dann hätte die Sozialdemokratin auch noch den Bundestag und die Bundesregierung im Sperrgebiet gehabt. Das wäre zwar konsequent gewesen, verkniff sie sich jedoch lieber.
Aus- und Einreiseverbote innerhalb Berlins? Wer auf solch eine irrwitzige Idee kommt, muss entweder eine stille Sehnsucht nach der guten, alten Zeit vor dem 9. November 1989 hegen – oder geschichtsvergessen sein. Ob die Polizei reichen würde, um die Bezirksgrenzen zu bewachen – oder bräuchte es Grenzsoldat:innen? Warum nicht gleich ein Anticoronaschutzwall?
Machbar ist vieles. In China sind ganze Millionenstädte abgeriegelt worden. Aber eine „chinesische Lösung“ war noch nie eine gute Empfehlung für Deutschland, das erkannte sogar schon die Staats- und Parteiführung der DDR 1989. Und das gilt heute immer noch – selbst bei der Bekämpfung des Coronavirus. Da kann, sollte und muss man vieles machen. Aber: Berlin muss grenzenlos bleiben. Pascal Beucker
16 Oct 2020
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Märkte, Einkaufsstraßen und Warteschlangen: Wo der Mindestabstand nicht einzuhalten ist, muss Maske getragen werden, beschließt der Berliner Senat.
In der zweiten Welle sollten wir brav allen Regeln folgen und ums Wesentliche richtig streiten: das Abwägen von Freiheit und Sicherheit.
Übernachtungsverbote für Reisende aus Risikogebieten sollen das Infektionsgeschehen eindämmen. Doch Gerichte und Länder kippen das Verbot.
Kinder sind keine Infektionstreiber für Corona, sagt Familienministerin Franziska Giffey. Daher sollen Kitas nicht geschlossen werden.
Elf Wirte haben gegen die Sperrstunde ab 23 Uhr geklagt. Das Verwaltungsgericht gibt ihnen recht. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig.
Das Verwaltungsgericht kippt die Coronamaßnahme nach Eilklagen von Wirt:innen. Das Alkoholverbot bleibt gültig. Senat legt am Freitag Beschwerde ein.
Beherbergungsverbote hält Thüringens Ministerpräsident für Scheinlösungen. Die Leute müssten begreifen, dass es um ihre Gesundheit geht.