taz.de -- Coronavirus und Beherbergungsverbot: Das Virus wird zur Geduldsprobe
Das Beherbergungsverbot kann als eine Art Ersatzhandlung gelesen werden. Es ist das kleinere Übel gegenüber einem erneuten kompletten Lockdown.
Ein bisschen unwürdig klingt ja schon, was man aus Arztpraxen hört: PatientInnen, die künstlich husten, wenn sie das Sprechzimmer betreten, um als Menschen [1][mit angeblichen „Symptomen“ den Coronatest von der Kasse bezahlt zu bekommen], den man braucht für den Urlaub. Hausärzte kommen sich vergackeiert vor.
Auch Hoteliers, die Buchungslisten durchgehen und versuchen, an der Postleitzahl zu erkennen, welche Gäste nicht anreisen dürfen und welche doch, zweifeln an Sinn und Verstand der neuen Coronaregeln. Jetzt, wo die Zahlen der Neuinfektionen hoch sind und sich die Intensivstationen wieder füllen mit Covid-19-Erkrankten, zeigt sich, dass immer auch die Glaubwürdigkeit der Maßnahmen gegen das Virus auf dem Spiel steht.
Wobei die Politik in einem Widerspruch steckt: Mit drastischen [2][Anordnungen wie dem Beherbergungsverbot], Sperrstunden oder Feierverboten erntet sie genervtes Kopfschütteln. Aber gleichzeitig werden die Leute wacher, ziehen die Masken wieder auf, meiden Menschenansammlungen. Was ja das Richtige ist im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus. Das Beherbergungsverbot mit seinen teilweise absurden Folgen kann dabei auch als eine Art Ersatzhandlung gelesen werden, es ist das kleinere Übel gegenüber dem, was wieder drohen könnte: der erneute komplette Lockdown, die Schließung von Schulen und Kitas, von Hotels und Gaststätten.
Einen zweiten monatelangen Lockdown will niemand, er wäre schlimm für Kinder, Eltern, Alte, Selbstständige, Kulturschaffende, Gastronomie. Stattdessen muss man sich in Deutschland vielleicht dafür entscheiden, etwas anderes zu akzeptieren: dass da etwas ist, das nur schwer zu kontrollieren ist, dass es Gewissheiten nicht gibt, die man gerne hätte. Als Anmerkung, ohne einen Vergleich ziehen zu wollen: Für Millionen von Menschen in Kriegsgebieten, Überschwemmungsregionen, in Dürregebieten gehört eine Ungewissheit, eine Bedrohung zum Überlebensgefühl.
Vielleicht muss man in Corona-Deutschland jetzt eine im Westen sonst eher unpopuläre Tugend entwickeln: Geduld. Die Belastungen sind wieder da, das muss man aushalten. Es ist Aufgabe der Politik, [3][Präventionen und Ausgleichsmaßnahmen] zu entwickeln. Kleine Schritte, Improvisation, auch Versuch und Irrtum – wie das Beherbergungsverbot – gehören zu Zeiten, in denen man eine Bedrohung nicht mal eben aus der Welt schaffen kann. Wie man an der zweiten Welle sieht, hat das Aus-der-Welt-Schaffen nicht geklappt. Aber das mit der Geduld, das müsste zu schaffen sein.
12 Oct 2020
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