taz.de -- Abstimmung über Binnenmarktgesetz: Klare Mehrheit für Boris Johnson
Großbritanniens Premier nimmt mit der Abstimmung im Unterhaus über sein umstrittenes Gesetz zur einseitigen Änderung des Brexit-Deals die erste Hürde.
London dpa | [1][Ungeachtet aller Warnungen] hat sich im britischen Unterhaus in einer ersten Abstimmung eine deutliche Mehrheit für das umstrittene Binnenmarktgesetz von Premier Boris Johnson ausgesprochen. 340 der Abgeordneten stimmten am Montagabend für das [2][Gesetz], mit dem Johnson Teile des gültigen Brexit-Deals ändern will. 263 votierten dagegen. Ein Antrag der Opposition, um das Gesetz zu stoppen, war zuvor mehrheitlich abgelehnt worden.
Die Abstimmung gilt als Stimmungsbarometer. In den kommenden Tagen geht die Debatte über den Gesetzentwurf weiter, erst in einer Woche steht die entscheidende Abstimmung an. Danach muss das Gesetz noch das Oberhaus passieren.
Doch bereits am Montag kochten die Emotionen im Parlament hoch: „Was für eine Inkompetenz! Was für ein gescheitertes Regieren!“, empörte sich etwa der Abgeordnete der oppositionelle Labour-Partei, Ed Miliband, zu einem kopfschüttelnden Regierungschef. Es gebe nur eine Person, die für all das verantwortlich sei – Johnson selbst.
Dieser verteidigte sein Gesetz in der Debatte hingegen erneut als „Sicherheitsnetz“, das notwendig sei, um die Beziehung zwischen Nordirland und dem Rest Großbritanniens zu schützen.
Johnson sieht EU-Drohung mit „Revolver“
„Denn nach seiner Darstellung drohte die EU unter anderem, mit einem Einfuhrstopp für britische Waren auch den Warenfluss zwischen Irland und Nordirland zu unterbinden. Und die EU habe „diesen Revolver noch immer nicht vom Tisch genommen“.
Johnson hat eine Mehrheit von 80 Stimmen im Unterhaus, in der Abstimmung hatte seine Regierungsfraktion am Montagabend eine Mehrheit von 77 Stimmen. Dabei hatten sich zuvor etliche führende Parteimitglieder, darunter auch [3][konservative Ex-Premierminister] wie David Cameron und John Major, klar von dem Gesetz distanziert.
Der Premier will mit dem Binnenmarktgesetz den 2019 mit der Europäischen Union vereinbarten Austrittsvertrag in wesentlichen Punkten ändern. Dabei geht es konkret um Sonderregeln für das britische Nordirland, die eine harte Grenze zum EU-Staat Irland und neue Feindseligkeiten dort verhindern sollen.
Rechtsbruch, Todesstoß, harter Bruch?
Für die EU handelt es sich bei Johnsons Vorstoß um einen Rechtsbruch. Brüssel forderte London daher auf, bis Ende September einzulenken.
Kritiker befürchten, dass das geplante Gesetz der Todesstoß für den Handelsvertrag sein könnte, der die künftigen Wirtschaftsbeziehungen neu regeln soll. [4][Nach dem Ende der Brexit-Übergangsphase droht ohne Vertrag ein harter Bruch mit Zöllen und hohen Handelshürden.]
In einer ersten Reaktion britischer Medien stellte der Sender BBC auf seiner Website fest, dass die Coronapandemie in diesem Jahr die Nachrichten dominiert habe, doch nun sei auch der Brexit „wieder voll auf der Tagesordnung“ gelandet.
Der Telegraph wiederum warnte Johnson, er stehe mit dem Gesetz vor „einer völlig neuen Brexit-Schlacht“. Und der Guardian titelte, dass Johnson die Abstimmung über ein kontroverses Gesetz gewonnen habe, „der internationales Recht brechen wird“.
15 Sep 2020
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