taz.de -- Richterwahl am Bundesverfassungsgericht: Mehr Kooperation, weniger Konflikt

Das Bundesverfassungsgericht ist nicht so umkämpft wie der US-Supreme Court. Außerdem sind die Amtszeiten nicht so epochal.
Bild: Etwas angenehmer ist die Stimmung beim Bundesverfassungsgericht

Auch in Deutschland gibt es gelegentlich Diskussionen um die Wahl von Richtern des Bundesverfassungsgerichts. Doch sie beschäftigen die große politische Öffentlichkeit in der Regel nicht so wie jetzt die Nachfolge der verstorbenen Richterin [1][Ruth Bader Ginsburg] in den USA.

Dabei ist die Bedeutung der Gerichte ähnlich groß. Das Bundesverfassungsgericht hat in vielen politisch umstrittenen Fragen das letzte Wort, denn es misst Gesetze an der Verfassung, die bei uns Grundgesetz heißt. Auch der US-Supreme Court ist – neben seiner Rolle als oberstes Fachgericht – eine Art Verfassungsgericht. Auch er kann den Gesetzgeber kontrollieren.

Allerdings ist das Bundesverfassungsgericht immer ausgewogen besetzt. Die Richter werden zur Hälfte im Bundestag und im Bundesrat jeweils mit Zwei-Drittel-Mehrheit gewählt. Das heißt, die großen Blöcke (CDU/CSU, SPD und zunehmend auch die Grünen) müssen sich einigen. Dies führt dazu, dass eher gemäßigte Juristen gewählt werden, die auch für das jeweils andere Lager akzeptabel sind.

Seltenes Ereignis mit langfristiger Wirkung

In den USA nominiert dagegen der Präsident nach eigenem Gusto die Richter, die dann vom Senat (entspricht dem deutschen Bundesrat) bestätigt werden müssen. Wenn der Präsident der gleichen Partei angehört wie die Mehrheit im Senat, kann er nacheinander mehrere Richter mit den gleichen Grundüberzeugungen ernennen und [2][so die Ausrichtung des Gerichtshofs deutlich verschieben]. Früher war das noch schwieriger, aber seit 2017 ist im Senat keine 60-Prozent-Mehrheit mehr erforderlich. Es genügt die einfache Mehrheit, die die Republikaner derzeit innehaben.

Da es am Supreme Court nur neun Richter gibt und diese auf Lebenszeit gewählt werden, sind Richterwahlen auch ein relativ seltenes Ereignis mit sehr langfristiger Wirkung. Ruth Bader Ginsburg war zum Beispiel 27 Jahre im Amt. In den zwei Senaten des Bundesverfassungsgerichts arbeiten dagegen jeweils acht Richter, insgesamt also 16. Ihre Amtszeit endet mit dem 68. Geburtstag oder nach spätestens 12 Jahren. Auch das ist lang, aber nicht so epochal.

Kooperativer Stil

Dem Wahlverfahren entspricht auch ein kooperativerer Arbeitsstil am Bundesverfassungsgericht. Dort gelingt es meist, Urteile einstimmig oder mit großer Mehrheit zu fällen, während am Supreme Court inzwischen häufiger [3][entsprechend der Parteipräferenzen] abgestimmt wird. Deshalb ist auch das Ansehen des Supreme Courts nicht (mehr) so hoch wie das der Karlsruher Richter.

27 Sep 2020

LINKS

[1] /Zum-Tod-von-Ruth-Bader-Ginsburg/!5715048/
[2] /Trumps-Kandidatin-fuers-Oberste-Gericht/!5716778&s=barrett/
[3] /Nach-dem-Tod-von-Ruth-Bader-Ginsburg/!5715074&s=barrett/

AUTOREN

Christian Rath

TAGS

Amy Coney Barrett
Supreme Court
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
Amy Coney Barrett
US-Wahl 2024
Ruth Bader Ginsburg
Ruth Bader Ginsburg

ARTIKEL ZUM THEMA

Nominierung für den Supreme Court: Die leise Revolution

Amy Coney Barrett ist kein Einzelfall: In den knapp vier Jahren seiner Amtszeit hat Trump die US-Rechtsprechung nachhaltig umgeformt.

Trumps Kandidatin fürs Oberste Gericht: Eine erzkonservative Katholikin

Donald Trump nominiert Amy Coney Barrett für den Obersten Gerichtshof. Sie lehnt Obamas Gesundheitsreform und Abtreibungen ab.

Tod der US-Richterin Ruth Bader Ginsburg: RBG hinterlässt eine Lücke

Die US-Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsberg hatte schon vor ihrem Tod den Status eines Popstars. Zu Recht: Sie war eine feministische Ikone.

Nach dem Tod von Ruth Bader Ginsburg: Trump will schnell nachbesetzen

Der US-Präsident will die Nachfolge für den Supreme Court rasch regeln. Die Bezirksrichterin Amy Coney Barrett gilt als eine seiner Wunschkandidatinnen.