taz.de -- Wahlkampf in den USA: Der Traum ist aus

Die US-Demokraten haben früher den amerikanischen Aufstiegsmythos in die Wirklichkeit übersetzt. Das entpuppt sich immer mehr als Illusion.
Bild: Kennedy gegen Nixon 1960: Damals klappte es noch mit dem Aufstiegsversprechen

Kaum je waren sich so viele Deutsche in politischer Hinsicht so einig wie in ihrer Ablehnung von Donald Trump. Entgeistert nehmen sie zur Kenntnis, dass der Ausgang der kommenden Wahlen in den USA offen ist, obwohl der republikanische Präsident dreist lügt und die Spaltung der Gesellschaft befördert.

Wie kann es sein, dass der Kern seiner Anhängerschaft – immerhin rund 40 Prozent der Wahlberechtigten – unbeirrt in Treue zu ihm steht? Seine Gegnerinnen und Gegner, also die Demokraten, müssen ziemlich viel falsch gemacht haben. Aber was genau?

Die einfache Antwort lautet, dass sich in den vergangenen Jahren eben beide Parteien radikalisiert hätten. Das habe die Lagerbildung befördert. Diese Erklärung ist falsch: Die Ablehnung von Rassismus und Faschismus ist keine Radikalisierung. Vielmehr war das stets Grundkonsens der westlichen Demokratien, zumindest als Lippenbekenntnis. Jedenfalls vor Trump.

Dasselbe gilt übrigens für den Versuch, wenigstens ein Minimum an sozialer Absicherung für alle zu schaffen. Mit dem Wunsch nach Einführung des Sozialismus hat das nichts zu tun, wie fantasievoll die Wahlkampfspots des Trump-Lagers auch gestaltet sein mögen, die genau das dem demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden vorwerfen.

Die Legende von der Radikalisierung beider Lager ist von US-Republikanern verfasst worden, die damit ihren eigenen Abschied von demokratischen Grundsätzen rechtfertigen wollen. Die Wirklichkeit ist komplizierter: In einem Zweiparteiensystem kämpfen alle darum, auch an den Rändern so viele Leute wie irgend möglich an die Wahlurnen zu bringen.

Linke und liberale Parteien haben in dieser Hinsicht stets, nicht nur in den USA, mit einem besonderen Problem zu kämpfen: Ihre Wählerschaft wünscht sich ein überzeugendes Gesamtkonzept, das nach einem Wahlsieg bis ins Detail umgesetzt wird. Enttäuschungen sind unvermeidlich.

Schwieriger gemeinsamer Nenner

Das gilt umso mehr, wenn die eigenen Anhänger aus sehr unterschiedlichen Milieus stammen. Die US-Demokraten müssen sich darum bemühen, irgendeinen gemeinsamen Nenner zu finden, mit dem sich eine linke Akademikerin aus San Francisco ebenso identifizieren kann wie ein afroamerikanischer Arbeitsloser aus Detroit und ein älterer weißer Fabrikarbeiter aus Massachusetts. Das ist eine fast unlösbare Aufgabe, was dazu führt, dass regelmäßig Teile des demokratischen Lagers nicht bereit sind, den jeweiligen Kandidaten ihrer Partei zu unterstützen. Prinzipientreue geht vor Siegeswille.

[1][Nun ist die konservative Gegenseite genauso zersplittert]. Amerikanische Evangelikale haben mit Neoliberalen wenig gemein, auch wenn beide Gruppen mehrheitlich die Republikaner wählen. Aber die setzen erfolgreich auf individuelle Wünsche. Traditionell ist für viele republikanische Wählerinnen und Wähler der Kurs bei ihrem jeweiligen Lieblingsthema – sei es nun Abtreibung, Einwanderung oder Steuerpolitik – entscheidend, und dafür sind sie bereit, manches andere in Kauf zu nehmen, was sie eigentlich nicht unbedingt teilen.

Das ist Pech für die Demokraten, aber dafür können sie nichts. Andere ihrer Probleme sind jedoch hausgemacht. In besonderem Maße werden sie mit dem weithin verachteten „Establishment“ in der Hauptstadt Washington gleichgesetzt und sehen sich dem Vorwurf der Scheinheiligkeit ausgesetzt. Mit gutem Grund. Das Großkapital hat bei der vergangenen Präsidentschaftswahl von 2016 Hillary Clinton unterstützt, die Millionen US-Dollar mit Reden an der Wall Street und vor anderen finanzkräftigen Gastgebern verdiente. Wer das tut und sich zugleich als Retterin der Entrechteten gibt, hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Da ist offene, unverfälschte Gier, wie sie Donald Trump zeigt, noch sympathischer.

Hinzu kommt, dass [2][das Prinzip der Superdelegierten] mit besonderen Rechten auf demokratischen Parteitagen bei Außenseitern das Gefühl erweckt, gegen die Parteispitze ohnehin keine Chance zu haben. Zu Recht. Die Demokraten haben sich 2018 im Hinblick auf diese Regelung für ein Reförmchen entschieden. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob das für die Basis von Parteilinken wie Bernie Sanders und Elizabeth Warren genügt, um für Joe Biden zu stimmen. Der wirkt weder gierig noch scheinheilig. Nur farblos. Das mag für einen Sieg reichen angesichts eines Gegners wie Donald Trump. Vielleicht. Aber es gibt eben viele Gründe dafür, dass der Ausgang der Wahl offen ist.

Ein weiterer: Das Ziel der Demokraten, soziale Ungerechtigkeiten mit dem US-Mythos vom „amerikanischen Traum“ in Einklang zu bringen, ist immer schwerer zu erreichen. Das gilt gerade in Zeiten einer Wirtschaftskrise. Die Vorstellung, bei genügend persönlichem Einsatz könnten alle vom „Tellerwäscher zum Millionär“ werden, gehört zum Selbstverständnis der Vereinigten Staaten. Davon wollen sich auch die unterprivilegierten Schichten ungern verabschieden – wer will schon Träume aufgeben? –, zugleich aber erleben gerade sie, dass dieses Versprechen eine Illusion ist.

Für die Demokraten entsteht daraus ein Dilemma. Jeder Einsatz für flächendeckende, soziale Maßnahmen – die ja auch Geld kosten – beinhaltet das schweigende Eingeständnis, dass der „amerikanische Traum“ ausgeträumt ist. Und um die Ecke lauert der Vorwurf des fehlenden Patriotismus. Das kann vor allem wegen des Wahlsystems in den USA gefährlich werden: Was Schwarzen in den Südstaaten gefallen mag, muss linken Weißen im Mittleren Westen keineswegs gefallen. Für einen Sieg gebraucht werden aber beide Gruppen. Man möchte derzeit nicht verantwortlich sein für den Wahlkampf von Joe Biden.

28 Sep 2020

LINKS

[1] /Corona-Katastrophe-in-den-USA/!5686811
[2] /Nominierungsprozess-der-US-Demokraten/!5530639

AUTOREN

Bettina Gaus

TAGS

US-Wahl 2024
USA
Donald Trump
Joe Biden
TV-Duell
US-Wahl 2024
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
US-Wahl 2024
US-Wahl 2024
Ruth Bader Ginsburg
US-Wahl 2024

ARTIKEL ZUM THEMA

Nach Kritik an Äußerung in TV-Duell: Grüße an unbekannt

US-Präsident Trump hatte noch beim TV-Duell gesagt, die rechtsextremen „Proud Boys“ sollten sich „bereithalten“. Jetzt will er sie plötzlich nicht mehr kennen.

TV-Debatte zwischen Trump und Biden: Der Profiboxer

Trump hat geschafft, was ihm schon zur Präsidentschaft verhalf: Er ist unflätig, er ist laut, er lügt – und alle reden über ihn. Bidens Ruhe hilft da nicht.

Steuerakten des US-Präsidenten: Die Marke Trump ist zerstört

Die Steuerenthüllungen sind für Trump nicht nur bedrohlich, weil sie seine Chancen schmälern, Präsident zu bleiben. Ihm drohen sogar Ermittlungen.

Trumps Kandidatin fürs Oberste Gericht: Eine erzkonservative Katholikin

Donald Trump nominiert Amy Coney Barrett für den Obersten Gerichtshof. Sie lehnt Obamas Gesundheitsreform und Abtreibungen ab.

Timothy Snyder über Krankenversorgung: „Wir können nicht zurück“

Der renommierte Historiker Timothy Snyder spricht über sein neues Buch, US-amerikanische Krankenhäuser und die anstehende Präsidentschaftswahl.

Nach dem Tod von Ruth Bader Ginsburg: Trump will schnell nachbesetzen

Der US-Präsident will die Nachfolge für den Supreme Court rasch regeln. Die Bezirksrichterin Amy Coney Barrett gilt als eine seiner Wunschkandidatinnen.

Nominierungsrede von Joe Biden: „Ich werde Amerika beschützen“

Zum Ende des Parteitags der US-Demokraten hält Präsidentschaftskandidat Biden seine bislang stärkste Rede. Parteilinke kamen kaum zu Wort.