taz.de -- Lage der Flüchtlinge in Griechenland: Moria wird sich wiederholen

Trotz aller Kritik wird auf der griechischen Insel Lesbos ein neues Lager errichtet. Doch auch auf dem Festland leiden Flüchtlinge.
Bild: Das neu errichtete Lager auf Lesbos am 14. September

Wenn es eines gibt, worin sich die Insulaner und die Flüchtlinge auf Lesbos einig sind, dann darin, dass es kein „Moria 2“ auf der Insel geben soll. Die einen, weil sie Angst vor Corona, schlechter Presse und ausbleibenden Touristen haben. Die anderen, weil sie nicht hineinwollen und eine Verlängerung ihres Martyriums befürchten.

„Wir haben sie informiert, dass sie in die Einrichtung gehen müssen, aber sie lehnen das ab“, sagte ein Polizeisprecher der Agentur AFP über die Flüchtlinge, die weiter auf der Straße nahe der Inselhauptstadt ausharren. „Sie wollen Lesbos verlassen.“

Wie es aussieht, werden sie enttäuscht. „Niemand wird Lesbos verlassen, ohne vorher in dem Übergangslager gewesen zu sein“, sagte Bürgerschutzminister Michalis Chrisohoidis. Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis bekräftigte, es werde ein dauerhaftes Auffanglager für Flüchtlinge auf Lesbos errichtet.

Damit wurde offenbar schon begonnen. Die griechische Zeitung Sto Nisi veröffentlichte einen auf Dienstag datierten Pachtvertrag zwischen dem Ministerium für Einwanderung und Asyl und dem privaten Eigner des Grundstücks, auf dem die Armee seit dem Wochenende ein Zeltlager errichtet. Der Eigner soll für die Nutzung des vertrockneten Landes bis zum 31. Dezember 2025 2,9 Millionen Euro erhalten. Das Lager dort soll also bleiben.

Anerkannt, aber obdachlos in Athen

Das EU-Asylunterstützungsbüro EASO kündigte an, die Bearbeitung von Asylverfahren aus Moria wieder aufzunehmen. Die EU-Agentur unterstützt die griechischen Behörden bei der Abwicklung der Verfahren in dem Lager.

Als die Coronapandemie im Frühjahr ausbrach, hatte Griechenland [1][20.000 Menschen in Moria] zusammengepfercht. Rund 7.000 wurden seither auf das Festland gebracht. Ein Teil, weil ihr Asylantrag anerkannt worden war, ein Teil aus humanitären Gründen. Ein Teil kommt in Einrichtungen, die das UN-Flüchtlingswerk UNHCR mit EU-Mitteln betreibt. Andere kommen in Lager des griechischen Staates. Viele weitere – auch Anerkannte – leben indes in Athen völlig unversorgt auf der Straße.

Der 40-jährige Somali, der vor zwei Wochen als erster Coronafall im Lager Moria identifiziert wurde, war einer davon. Er war im Juli anerkannt worden und durfte Moria verlassen. Weil er in Athen aber völlig unversorgt blieb, kehrte er nach Lesbos zurück. Kurzum: Auf den Inseln geht es den Flüchtlingen besonders schlecht, auf dem Festland geht es aber nicht allen besser.

Vor diesem Hintergrund hat die EU-Kommission es begrüßt, dass Deutschland Flüchtlingsfamilien mit Kindern aus Griechenland aufnehmen will. Man habe die Nachricht aus Berlin „sehr zustimmend“ aufgenommen und sei „in direktem Kontakt mit der deutschen Regierung“, sagte ein Behördensprecher auf Anfrage der taz in Brüssel. Am Dienstagnachmittag fand zudem ein Koordinierungstreffen mit anderen EU-Staaten statt.

Optimismus für europäische Lösung

Bisher haben sich neben [2][Deutschland neun weitere EU-Staaten sowie die Schweiz zur Aufnahme von unbegleiteten Minderjährigen] aus Moria bereiterklärt. Berlin und Brüssel werben darum, dass noch weitere EU-Länder teilnehmen und – wie Deutschland – auch Familien aufnehmen. So soll ein deutscher Alleingang vermieden werden und eine „europäische Lösung“ näherrücken.

„Wir sind optimistisch, dass es noch mehr Zusagen geben wird“, heißt es in einem Schreiben von EU-Innenkommissarin Ylva Johansson und Bundesinnenminister Horst Seehofer, das der taz vorliegt. In dem Brief vom 14. September geht es auch um die Umsiedlung von Familien von den griechischen Inseln in andere EU-Staaten.

„Die deutsche Präsidentschaft und die EU-Kommission möchten an alle Mitgliedstaaten appellieren“, an der „Umsiedlung unbegleiteter Minderjähriger und von Familien mit Kindern“ teilzunehmen, heißt es weiter. Es gehe darum, die Situation der Asylbewerber in Griechenland zu verbessern. Diese „enorme Herausforderung“ könne Europa nur gemeinsam meistern.

Derzeit leben in Griechenland nach Angaben von Seehofer und Johansson 85.000 Schutzsuchende, davon 26.700 auf den Inseln.

15 Sep 2020

LINKS

[1] /Nach-Brand-im-Lager-Moria/!5714431
[2] /Verlogenheit-beim-Fluechtlingsthema/!5709493

AUTOREN

Eric Bonse
Christian Jakob

TAGS

Moria
Flüchtlinge
EU-Flüchtlingspolitik
Horst Seehofer
Moria
Flüchtlinge
Griechenland
Schwerpunkt Flucht
Moria
Afrobeat
Flüchtlinge

ARTIKEL ZUM THEMA

Europa und die Moria-Krise: Auf der Flucht vor Verantwortung

Das Desaster auf Moria löst keine Anstrengungen zum gemeinsamen Handeln aus. Im Gegenteil: Es geht weiter nur um Abwehr.

Aufnahme Geflüchteter nach Moria-Brand: Seehofer beansprucht Lorbeeren

Innenminister Seehofer lobt sich für die Aufnahme von 1.500 Flüchtlingen. SPD-Vize Kevin Kühnert hält das „nur für einen Zwischenschritt“.

Feuer auf griechischer Insel: Brand auf Samos ist unter Kontrolle

Auch nahe dem Geflüchtetenlager auf Samos kam es zu einem Feuer. Doch das Camp ist laut Polizei und Feuerwehr nicht in Gefahr.

Nach Brand im Flüchtlingslager in Moria: SPD lenkt ein

Deutschland müsse mehrere Tausend Geflüchtete aus Griechenland aufnehmen, hatte SPD-Chefin Esken gefordert. Jetzt gibt die SPD dem Druck der Union nach.

Verlogenheit beim Flüchtlingsthema: Würdeloses Gefeilsche

Deutschlands Flüchtlingspolitik ist beschämend: Man nennt eine Zahl, gibt sich mitfühlend – und weiß, dass Innenminister Seehofer sowieso Nein sagen wird.

Europas Versagen: Wofür Moria steht

Läge Moria in Mali und nicht in Griechenland, wäre die EU schon längst aktiv. In Afrika gibt sich die EU hilfsbereiter als in Europa.

Obdachlose Flüchtlinge in Moria auf Lesbos: Polizeigewalt und ein neues Lager

Sie wollen nur weg von der Insel und demonstrieren dafür auf der Straße. Die Polizei fährt Wasserwerfer gegen die Menschen aus dem zerstörten Camp auf.