taz.de -- Filmindustrie in Indien: Dunkler Schatten auf Bollywood

Der Suizid des Schauspielers Sushant Singh Rajput gibt noch immer Rätsel auf. Indien diskutiert über Vetternwirtschaft und Mobbing in Bollywood.
Bild: Der Schauspieler Sushant Singh Rajput im Jahr 2018 bei einem Interview mit der Hindustan Times

MUMBAI taz | Als Außenseiter aus einer Kleinstadt im nordindischen Bihar hat sich der Schauspieler Sushant Singh Rajput in Bollywood hochgearbeitet und wurde zum Star. Zunächst trat er in Fernsehserien, später in [1][Hindi-Filmen] auf. Besonders gefeiert wurde er in seiner Rolle als Cricket-Star M.S. Dhoni. Und als der 34-Jährige am 14. Juni in seiner Mumbaier Wohnung suizidierte, erschütterte das ganz Indien.

Auch einen Monat später rätselt die Öffentlichkeit über die genaueren Umstände seines Todes. War es die Schuld seiner Lebensgefährtin, der Druck und die Vetternwirtschaft in der Filmindustrie oder eine psychische Erkrankung? Kurz vor dem Ableben Rajputs nahm suizidierte auch seine ehemalige Managerin, was sich auf den psychischen Gesundheitszustand des Schauspielers ausgewirkt haben könnte.

In TV-Debatten oder auf Zeitungstitelseiten wird weiterhin gerätselt. „Alle wollen die Wahrheit wissen, doch die aktuellen Ereignisse zeigen, dass der Fall von Tag zu Tag undurchschaubarer wird“, erklärt der Mumbaier Kriminalreporter Vallabh Ozarkar.

„Viele Leute sprechen über den Tod. Ich bekomme ständig Nachrichten darüber auf mein Handy. Was passiert ist, ist sehr seltsam und düster“, sagt der Student Maheshwar Khetan, der sich sonst für Umweltschutz, und weniger für [2][Bollywood] interessiert. „Viele Bollywood-Filme sind hirntot, doch es gibt gute Schauspieler wie Sushant, die faszinierende Arbeit leisten“, sagt Khetan.

Rajput sprach über Mobbing in Bollywood

Der Vater des Verstorbenen hat unterdessen Anklage gegen die Lebensgefährtin seines Sohnes erhoben, der er Beihilfe zum Suizid unterstellt. Sie soll ihn zusammen mit ihrer Familie geistig und finanziell betrogen haben. Auch wenn der Verdacht bisher nicht bestätigt worden ist, wird im Netz gegen sie gehetzt. Der Vater fordert, dass der Fall Polizeibehörden außerhalb Mumbais übergeben wird. In Rajputs Heimat Bihar stehen demnächst Wahlen an. Die Regierung steht nun unter Druck, den Fall zu lösen.

Die Schauspielerin Kangana Ranaut kritisiert die Familie Rajputs, die sich nur auf das Finanzielle konzentriere und all die Beiträge und Interviews ignoriere, in denen er sich über Mobbing und Vetternwirtschaft geäußert habe. Sie selbst habe Erfahrungen damit, dass in Bollywood vieles nur über Vitamin B geht.

„Ich komme aus der Theaterbranche und war in meiner Heimatstadt Delhi recht erfolgreich“, sagt Sheeba Shaik, die heute als Synchronsprecherin und Radiomoderatorin arbeitet. „Aber nachdem ich nach Mumbai kam, wurde mir klar, dass hier Talent alleine nicht viel wert ist. Es geht nur darum, wen man kennt oder mit wem man zu tun hat.“

Der mutmaßliche Suizid von Rajput ist nicht der erste bekannte Fall in Bollywood. 2013 suizidierte die Schauspielerin [3][Jiah Khan]. Doch sie war weniger populär als Rajput, der eine große Fangemeinde aus den Zeiten hat, als er in TV-Serien auftrat. In seiner letzten Rolle im Liebesdrama „Dil Bechara“, ein Bollywood Remake des Romans „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“, können ihn Fans seit Ende des Monats im Stream sehen.

1 Aug 2020

LINKS

[1] /Netflix-Serie-Ladies-Up/!5678545
[2] /Indien-versucht-das-Unmoegliche/!5670756
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Jiah_Khan

AUTOREN

Natalie Mayroth

TAGS

Bollywood
Indien
Film
Suizid
Film
Indien
Indien
Indien
Bollywood

ARTIKEL ZUM THEMA

Sozialdrama „Milestone“ aus Indien: Jenseits von Bollywood

Im Netflix-Film „Milestone“ geht es um die Existenzsorgen eines alternden Truckers. Er zeigt, was das Indie-Kino aus Indien so stark macht.

Religionskonflikt in Indien: Hindu-Hardliner trumpfen auf

In Ayodhya findet die Grundsteinlegung für einen Hindutempel statt. Am Jahrestag des Autonomieverlusts von Kaschmirs Muslimen.

79-jähriger Dichter in Indien: Mit Corona in Haft

Unter einem Anti-Terror-Gesetz werden in Indien immer wieder kritische Zeitgenossen verhaftet – so auch der Dichter Varavara Rao.

Studentische Aktivistin in Indien freigelassen: Gegen Diskriminierung per Gesetz

Für ihr Engagement gegen ein diskriminierendes Staatsbürgerschaftsgesetz wurde Safoora Zargar inhaftiert – vermutlich unschuldig.

Film über die indische Gesellschaft: Kein Platz für ein Happy End

Wie im Vorübergehen, aber doch in aller Grausamkeit: Der Film „Photograph“ von Ritesh Batra entlarvt Vorurteile in der indischen Gesellschaft.