taz.de -- Volksentscheide in Berlin: Direkt geht anders

Rot-Rot-Grün feilscht zu lange um Verbesserungen bei der Direkten Demokratie – und verliert so Glaubwürdigkeit bei Initiativen und Zivilgesellschaft.
Bild: Ein langer Weg: Vertreter der Initiative Deutsche Wohnen enteignen bei einem Protest

Eigentlich waren sich die drei Regierungsfraktionen schon immer einig. Als sie am Freitag schließlich den Entwurf für ein verändertes Abstimmungsgesetz vorlegten, setzen sie dabei nur jene Verbesserungen für die direkte Demokratie um, die bereits im Koalitionsvertrag Ende 2016 standen: dass Volksentscheide möglichst parallel zu Wahlen stattfinden sollen; dass eine Frist eingeführt wird für die Dauer der [1][Prüfung der Zulässigkeit] des Begehrens; dass die sogenannte Trägerin des Begehrens, also die Initiative, im Parlament gehört werden muss, und dass die Initiative zumindest Teile der entstandenen Kosten erstattet bekommt.

Genau das – und nur ein wenig mehr – soll nun umgesetzt werden. Warum aber hat das so lange gedauert? Warum wurden viele Volksinitiativen von Rot-Rot-Grün [2][durch eine unverhohlene Hinhaltetaktik ausgebremst]? Warum, kurz gefragt, dauert gesellschaftlicher Fortschritt so lange? Die Antwort liegt im Bereich koalitionsinterner Physik mit drei Faktoren: Grüne, Linke, SPD.

Wobei in diesem Fall vor allem die Bremswirkung der SPD zu beachten ist. Denn Grüne und Linke sind sich in vielen innen- und sicherheitspolitischen Fragen nahe. Aber die Sozialdemokraten wollten die Einigung in diesem Bereich mit anderen Gesetzesvorhaben verrechnen, in denen wiederum vor allem Linke und teilweise Grüne bremsten: etwa dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (Asog), einem Lieblingsprojekt von Innensenator Andreas Geisel (SPD).

Und so wurde aus einem eigentlich schnell zu präsentierenden Ergebnis bei der direkten Demokratie eine Verhandlungsmasse auf Kosten vieler zivilgesellschaftlicher Initiativen wie „[3][Berlin Werbefrei]“ und „Deutsche Wohnen enteignen“.

Damit das nicht ganz so stark auffiel, diskutierte die SPD zwischendurch noch über die Einführung einer Volksbefragung von oben, wie sie etwa im Falle des Brexits Chaos verursacht hat. Eine Idee, die bei Linken und Grünen bekanntlich keine Unterstützung fand.

Langsam aber wurde die Zeit in dieser Legislaturperiode knapp für all die innenpolitischen Projekte, und die Widerstände bei Linken und Grünen wurden kaum geringer, sodass nun peu à peu die Reformen zum Abschluss, sprich in Gesetzesform gebracht werden.

Den Anfang machte der Polizei- und Bürgerbeauftragte; der Entwurf dafür liegt seit einigen Monaten vor; am Freitag kam eben das Abstimmungsgesetz, das nach der Sommerpause in den Ausschüssen beraten werden soll. Für kommenden Mittwoch ist die Präsentation des überarbeiteten Versammlungsgesetzes angekündigt – auch da haben Grüne und Linke den Entwurf bereits abgenickt. Und selbst über das Asog sei man sich letztlich inhaltlich einig, sagte am Freitag Frank Zimmermann, der Chefunterhändler der SPD in diesen Fragen.

Nach einer Einigung allerdings hat es lange nicht ausgesehen; sogar ein Scheitern der Koalition an dieser Frage schien möglich. Vor diesem Hintergrund kann man das Hinausschieben des Beschlusses für die direkte Demokratie für einen Kollateralschaden halten – der alle drei Parteien allerdings viel Sympathie bei den Initiativen gekostet hat.

29 May 2020

LINKS

[1] /Volksbegehren-Berlin-Werbefrei/!5645238
[2] /Pruefung-von-Volksbegehren/!5601739
[3] /Senat-laesst-Volksbegehren-nicht-zu/!5643659

AUTOREN

Bert Schulz

TAGS

Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
Berlin
Volksentscheid
Deutsche Wohnen & Co enteignen
Direkte Demokratie
Berlin Werbefrei
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Mieten
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
Berlin Werbefrei
Berlin Werbefrei
Berlin Werbefrei

ARTIKEL ZUM THEMA

Volksbegehren Berlin Werbefrei: Werbeverbot, zweiter Anlauf

Das Berliner Verfassungsgericht erklärt die Nicht-Zulassung des Volksbegehrens für unzulässig. Die Initiatoren für ein Werbeverbot sind wieder am Zug.

Direkte Demokratie in Berlin: Bremssenator muss jetzt loslegen

Das Abstimmungsgesetz ist überarbeitet: Künftig muss die Zulässigkeit von Volksbegehren innerhalb von fünf Monaten klar sein.

Stadtteilspaziergang gegen Häuserverkauf: Der Miethai geht um

Gegen den Verkauf von 23 Häusern an die Deutsche Wohnen regt sich Protest. Stadtteilspaziergang durch Kreuzberg. Nicht nur Betroffene waren dabei.

Enteignung von Immobilienkonzernen: Selbst die SPD kann noch Zukunft

Berlins SPD gibt ihre Blockadehaltung gegen stadtpolitischen Fortschritt endlich auf. Eine kluge Entscheidung: Schließlich stehen bald Wahlen an.

Enteignungs-Volksbegehren in Berlin: Geiseldrama bald vorbei

Das Enteignungs-Volksbegehren wird wohl zugelassen. Letzte Bedenken räumte der Senat im Gespräch mit der Volksinitiative aus.

BAKJ-Kongress: „Es geht ums große Ganze“

Die Deutsche Wohnen ist im DAX, in Berlin muss sie um ihre Wohnungen bangen. Mit Eigentum beschäftigt sich ein Kongress kritischer JuristInnen.

Volksentscheide in Berlin: Demokratie wird direkter

Rot-Rot-Grün will die direkte Demokratie gerechter machen. Dazu wird endlich eine Frist für die Zulässigkeitsprüfung eines Volksbegehrens eingeführt.

Senat lässt Volksbegehren nicht zu: Werbefrei? Aber nicht in Berlin!

Der Senat lehnt das Volksbegehren Berlin Werbefrei ab. Nicht mal ihren Gesetzentwurf darf die Initiative nachbessern.

Volksbegehren Berlin Werbefrei: Rekord im Dauerprüfen

Nach mehr als 16 Monaten hat die Innenverwaltung die Prüfung des Volksbegehrens abgeschlossen. Am Dienstag will sich der Senat damit beschäftigen.

Prüfung von Volksbegehren: Senat lässt auf sich warten

Seit einem Jahr prüft die Innenverwaltung Anträge auf Volksbegehren – bislang ohne Ergebnis. Das verärgert nicht nur Vertreter der Initiativen.