taz.de -- Spannungen in der ARD: Zoff mit dem Bayerischen Rundfunk
Ausahmsweise einmal einig ist sich die ARD in ihrem Unmut gegenüber Ulrich Wilhelm, dem Intendanten des BR. Droht ein BR-Exit?
Wenn die ARD ausnahmsweise mal könnte, wie sie wollte, liefe es auf einen ungeregelten BR-Exit hinaus. Wobei es gar nicht um Großbritannien geht. Sondern um Bayern! Denn Ulrich Wilhelm hat es geschafft. Dem Intendanten des Bayerischen Rundfunks (BR) ist gelungen, woran schon viele im gerne als „Alle Reden Durcheinander“ verballhornten Klub gescheitert sind. Die ARD ist sich endlich mal einig. Tusch und Applaus!
Für Wilhelm gelte nur das bayerische Grundgesetz „Bayern first“, heißt es. Die ARD als Großes und Ganzes sei ihm herzlich wurscht. Es sei denn, sie kommt mit Demut in Weiß-Blau kariert daher. Dann freut sich das Münchner Kindl.
Ach, habt ihr’s auch schon gemerkt, möchte man da rufen. Denn Ulrich Wilhelm hat sich kein bisschen geändert. Vorn herum charmant einseifen, hintenrum falsch spielen. So lief es schon als Regierungssprecher – „Merkels lächelndes Fallbeil“ schrieb die taz, als Wilhelm 2010 aus der Politik in die ARD wechselte. Jetzt hat er den Bogen jedoch offenbar überspannt. Von einer „neuen Qualität“, auch was sein „menschliches Verhalten“ angeht, ist in höheren ARD-Kreisen die Rede.
Zum Schwur gegen den Bayern mit dem rekordverdächtigen Ergebnis 8:1 kam es übrigens wegen des Streits um den Osten. Die ARD hat ja mal in die immer noch sogenannten neuen Länder geschaut und verblüfft festgestellt, dass sie dort quasi nicht existent ist. Natürlich gibt es den RBB und den MDR (Disclaimer: Für den ich auch arbeite und 2016/17 ARD-Sprecher war, als MDR-Intendantin Karola Wille den ARD-Vorsitz führte). Aber die „großen“ Sachen, mit denen man die ARD verbindet, sitzen in der BRD (alt).
Haussegen hängt auch sonst schief
Die „Tagesschau“ in Hamburg beim NDR, die „Tatort“- und Spielfilm-Koordination nebst „Sportschau“ beim WDR in Köln. Was teuer produziert oder an Filmen und Serien eingekauft wird, entscheidet die ARD-Tochter Degeto in Frankfurt/Main. Die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, also funk, sitzt in Mainz. Und der vielleicht endlich bald der Vergangenheit angehörende Volker Herres regiert aus München über das Erste Programm. Ach so, und den Sport und seine Milliarden verwaltet niemand anderes als Ulrich Wilhelm beim BR.
Weil das die Medienpolitik doof findet, soll beim MDR eine ARD-weite Kulturplattform aufgebaut werden, doch das mag der Ulrich Wilhelm nicht. Wenn schon Kultur, dann muss sie nach München, fordert der Chef des Bayerischen Rundfunks und ruft deshalb auch schon mal in der Sächsischen Staatskanzlei an.
Auch sonst hängt der ARD-Haussegen schief: In dem Moment, wo jemand etwas vorschlage, sage Ulrich Wilhelm „Nein“, selbst wenn ihn die Angelegenheit gar nicht beträfe, heißt es im Umfeld des aktuellen ARD-Vorsitzes.
Hört sich ziemlich nach „No Deal“ an, womit wir wieder beim BR-Exit werden. Natürlich wird sich die ARD das nicht trauen. Und trotz ihrer einmaligen Einigkeit weiter Frust schieben und ihre Sorgen miteinander souverän aussitzen. 2021 endet schließlich Wilhelms Amtszeit beim BR.
19 May 2020
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Ulrich Wilhelm war früher Regierungssprecher, später BR-Intendant. Jetzt ist er „ein bisschen Verleger“ der „FAZ“.
Das deutsche Fernsehen sei zu weit weg vom Leben der Leute, heißt es immer. Eine Doku über Familien beweist nun das Gegenteil.
Ende Oktober entscheidet der BR über seine neue Intendanz. Zum ersten Mal in der Sendergeschichte hat eine Frau gute Chancen.
Youtuber Rezo zerstört mal wieder. Diesmal ist die Presse dran. Viele, wenn auch nicht alle der angesprochenen Probleme, sind klug beobachtet.
Die „Bild“-Zeitung und der Charité-Virologe Christian Drosten liegen im Clinch. Dabei könnten Wissenschaft und Medien eigentlich gut zusammenarbeiten.
Die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist immer wieder Anlass für populistische Zwischenrufe. Das ließe sich leicht vermeiden.
Paparazzi können uns eigentlich egal sein. Doch die wohl ärmsten Schweine in der Krise sind die freien Fotografen.
Manche Journalisten klagen über den Lockdown. Der Journalismus hat zwar die Pflicht zu hinterfragen, aber bitte nur auf Tatsachenbasis.