taz.de -- Gute Zahlen der Immobilienwirtschaft: Keep calm, vermiete weiter

Die Wirtschaft stürzt ab, den großen Vermietern geht es prächtig. Doch Mietvereine warnen vor massiven Problemen.
Bild: Coronaleben im Berliner Gleisdreieckpark

Manche Sätze sind derzeit aus der Wirtschaft selten zu hören, etwa dieser: „Wir gehen heute davon aus, dass Corona keine spürbaren materiellen Auswirkungen auf das Unternehmen haben wird.“ Das sagte ein Sprecher von Deutschlands größtem Vermieter, der Deutsche Wohnen, der taz.

Am Mittwoch veröffentlichte das Unternehmen mit 164.300 Wohn- und Gewerbeeinheiten hierzulande als letzte der großen Wohnungsgesellschaften seine Zahlen für das erste Quartal. Überall sieht das Bild gleich aus: „Keine materiellen Auswirkungen auf das Geschäftsmodell durch die Corona-Pandemie“, schrieb etwa Vonovia vergangene Woche, die zweitgrößte private Gesellschaft in Deutschland. Die LEG als drittgrößte sah am Montag ihre Zahlen für 2020 ebenfalls nicht tangiert. Die Entwicklung durch Corona sei zwar schwer abzuschätzen. „Grundsätzlich sind die zu erwartenden negativen Auswirkungen jedoch, insbesondere im Vergleich zu anderen Branchen, als eher gering einzuschätzen“, schrieb das Unternehmen.

Auch der Rest der Branche ist noch optimistisch. Der Bundesverband der Freien Immobilien- und Wohnungsunternehmen vertritt den Mittelstand und sagt in Person des Bundesgeschäftsführers Christian Bruch der taz: Im Wesentlichen laufe es bisher ähnlich wie bei den Großen. „Wir sehen aber auch sehr deutlich, dass sich das angesichts der Zahl der Kurzarbeitsanträge schnell ändern kann“, ergänzt er. Der Verband Haus und Grund vertritt die Kleinvermieter und hat Anfang Mai bei den Mieter*innen seiner Mitglieder nachgefragt: Nur 6,5 Prozent gaben an, wegen der Krise ihre Miete nicht mehr zahlen zu können – ein normaler Wert.

Der Bundestag hat ein Gesetz erlassen, nach dem Mieter*innen, die wegen der Krise bis Ende Juni ihre Miete nicht zahlen können, das bis Juni 2022 in Raten abstottern können – und wegen Mietschulden nicht gekündigt werden dürfen. Doch fragt man bei Verbänden und Mietvereinen an, ist die Regelung bisher offenbar kaum in Anspruch genommen worden. Ob der Bund sie per Rechtsverordnung verlängert, ist unklar.

Zahlungsprobleme steigen „immens“

Der Grund für die ausnahmsweise mal positiven Wirtschaftsnews ist simpel: Noch haben die Mieter*innen Rücklagen, viele sind gerade mal einen Monat in Kurzarbeit, der Arbeitsmarkt ist noch relativ stabil. Aber das könnte sich bald ändern. Der Deutsche Mieterbund sagt, dass im April noch wenige Mitglieder von Zahlungsschwierigkeiten berichteten. Aber das ändere sich gerade. „Wir gehen davon aus, dass der Beratungsbedarf wegen Zahlungsproblemen aufgrund der Corona-Pandemie in den nächsten Wochen immens steigen wird“, schreibt eine Sprecherin. Vor allem Ballungszentren mit hohen Mieten könne es schnell treffen. Dort also, wo viele Haushalte bereits 40 Prozent ihres Einkommens fürs Wohnen ausgeben und kaum Spielräume haben.

Bei Gewerbeimmobilien ist die Lage bereits jetzt dramatisch: Im Schnitt können 20 Prozent der Mieter*innen nicht mehr zahlen, oft kleine Läden, die keine Reserven haben. Die großen Vermieter geben an, sie würden ihren Mieter*innen in der Krise entgegenkommen. Die Deutsche Wohnen etwa hat die Dividende je Aktie für 2019 um 10 Prozent gekürzt. Damit erhalten die Aktionäre 30 Millionen Euro weniger Ausschüttung, was das Unternehmen als „umfassenden Hilfsfonds“ bezeichnet. Der soll von Corona betroffenen Gewerbe- und Wohnungsmietern zugutekommen.

Gleichzeitig hat das Unternehmen allein im ersten Quartal 2020 rund 140 Millionen Euro Gewinn gemacht. Und zwar obwohl die meisten seiner Objekte in Berlin stehen – wo seit Februar ein Mietendeckel gilt.

13 May 2020

AUTOREN

Ingo Arzt

TAGS

Mieten
Deutsche Wohnen
Dax-Unternehmen
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Stadtentwicklung Hamburg

ARTIKEL ZUM THEMA

Deutsche Wohnen statt Lufthansa: Kapitalistentausch im Dax

Eine Airline fliegt aus dem Dax, ein anderer Großkapitalist steigt auf: Deutsche Wohnen bietet vielen ein Dach über dem Kopf – steht aber in der Kritik.

Imaginäre Lockerungsübungen: Reisen im eigenen Zimmer

Der savoyische Offizier de Maistre hat 1794 ein imaginäres Quarantäneexperiment durchgeführt. Die Coronapandemie verdeutlicht uns Abhängigkeiten.

Gastronomie in der Coronakrise: Warten auf Gäste

Dirk Zander und Sören Günther betreiben ein Restaurant in Berlin. Die Coronakrise könnte das Ende ihres Lebensprojekts bedeuten.

Corona-Hilfe für Selbstständige in NRW: Unterstützung als Luftnummer

NRW-Landesregierung und Bund streiten darum, wie Finanzhilfen verwendet werden. Selbstständige fürchten, am Ende Geld zurückzahlen zu müssen.

Unkommerzielles Projekt in bester Lage: Im Centro ist’s zu teuer

Das linke Zentrum in St. Pauli zahlt 4.000 Euro Monatsmiete. Die Nutzer*innen verhandelten über einen neuen Vertrag, bis Corona dazwischenkam.