taz.de -- Corona in Russland: Putin verlängert Zwangsurlaub

Präsident Wladimir Putin wendet sich erneut an seine Landsleute. Die Lage beschönigt er nicht. Löhne sollen weiter gezahlt werden. Doch wovon?
Bild: Dieser Bär in Stawropol wird desinfiziert, alle anderen Russen machen Zwangsurlaub

Moskau taz | Russlands Präsident Wladimir Putin hat sich am Donnerstag zum zweiten Mal innerhalb einer Woche über das Fernsehen an das Volk gewandt. In seiner Rede kündigte er an, dass die arbeitsfreie Zeit, die an diesem Montag begonnen hatte, bis zum 30. April verlängert werden solle. Die Lage im Land sei ernst, erklärte der Kremlchef. Die Situation habe sich bislang noch nicht entspannt.

In den vergangenen Tagen hat sich [1][die Lage um das Coronavirus] landesweit eher verschärft. Am Donnerstag meldete Moskau mehr als 3.500 Corona-Infizierte. Bislang starben 30 Menschen an der Lungenkrankheit Covid-19.

Bereits am Dienstag hatte die russische Duma harte Strafen eingeführt, sollte gegen Quarantänevorschriften und Isolationsauflagen weiterhin verstoßen werden. Die Strafpalette reicht von empfindlichen Geldbußen bis hin zu Gefängnis.

Grundsätzlich vertritt die politische Führung offiziell die Linie, dass die Rettung von Menschenleben zurzeit wichtiger sei als die wirtschaftlichen Schäden durch die Krise.

Besorgter Staatsführer

[2][Putins zweiter Auftritt] als besorgter Staatsführer und Krisenmanager kam dennoch etwas überraschend für die BürgerInnen. Der Kremlchef hatte sich einige Tage rar gemacht. In seine Rolle schlüpften stattdessen Sergei Sobjanin, Moskaus Bürgermeister und Leiter des Corona-Krisenstabs, sowie der neue Premierminister Michail Mischustin

Gelegentlich wurden schon Überlegungen laut, ob Krisenstableiter Sergei Sobjanin dem Kremlchef in der ernsten Lage womöglich den Rang ablaufe.

Darüber hinaus wurde auch Kritik an Putin geübt. Der Präsident kümmere sich in so einer angespannten Situation im Land weiterhin um Außenpolitik und Prestigegewinn. Warum schicke er Hilfe nach Italien und in die USA, wenn es zu Hause an Elementarem mangele. So fehlen Schutzmasken und Desinfektionsmittel im eigenen Land.

Manche RussInnen mögen mehr von der Botschaft des Präsidenten erwartet haben. Putin blieb jedoch ein kühler Landesvater, der für die Bevölkerung kaum beruhigende Worte fand. Zumindest forderte er Arbeitgeber auf, an die Belegschaften auch weiterhin Gehälter bis Ende April zu zahlen.

Fürsorgepflicht verlagert

Doch das ist leicht gesagt, da nur wenige kleinere Unternehmen über ein ausreichendes Polster verfügen. Hier werde die Fürsorgepflicht des Staates in die Verantwortung einzelner Unternehmer verlagert, kritisieren Beobachter.

Bemerkenswert auch: Der Kreml übertrug den Gouverneuren in den Regionen, in Eigenregie zu entscheiden, welche Maßnahmen erforderlich seien. Das weicht von der bisher üblichen scharfen Zentralisierung Moskaus ab. Es handelt sich dabei wohl um keinen neuen Föderalisierungsschub, sondern eher um den Versuch, keine eigene Verantwortung übernehmen zu müssen.

2 Apr 2020

LINKS

[1] /Corona-in-Russland/!5670608
[2] /Verfassungsreform-in-Russland/!5674297

AUTOREN

Klaus-Helge Donath

TAGS

Russland
Wladimir Putin
Schwerpunkt Coronavirus
Russland
Dagestan
Russland
Schwerpunkt Coronavirus
Essen
Ökonomie
Wladimir Putin
Russland

ARTIKEL ZUM THEMA

Russlands Präsident unter Druck: Entzauberter Putin

Die Zustimmung zum Kremlchef sinkt, auch in der Elite macht sich Unmut breit. Jetzt heißt es siegen – bei einer Parade und einer Volksabstimmung.

Corona und Nordkaukasus: Medizinische Katastrophe

In der russischen Teilrepublik Dagestan explodieren die Infiziertenzahlen. Regeln werden nicht beachtet. Jetzt kommt Hilfe aus Moskau

Coronakrise in Russland: Vorbei mit arbeitsfrei

Russlands Präsident Wladimir Putin kündigt ein Ende des unbezahlten Urlaubs an – während die Infektionszahlen neue Spitzenwerte erreichen.

Corona in Russland: Im Kampfmodus

Eine Ärztin, die Zahlen hinterfragte und Schutzkleidung organisierte, wird kurzzeitig festgenommen. Der Vorwurf: Widerstand gegen die Staatsgewalt.

Russischer Buchweizen: Oh, du wunderbare fade Grütze!

Was den Deutschen ihr Klopapier, das ist den Russen derzeit ihre „Gretschka“. Was das ist? Viel mehr als nur eine Beilage.

Russlands Wirtschaft und Corona: Jeder kämpft für sich

Die Folgen von Corona werden vor allem kleinere und mittlere Betriebe treffen. Makroökonomisch hingegen steht Moskau derzeit gut da.

Verfassungsreform in Russland: Referendum vertagt

Präsident Putin kündigt wegen Corona eine Verschiebung der Abstimmung an. Ab Montag haben alle eine Woche frei. Der Lohn kommt trotzdem.

Corona in Russland: Mit der Klinik kommt Gas

Vor den Toren Moskaus wird im Eiltempo ein Krankenhaus gebaut, für 600 Patienten. Das kleine Dorf Golochwastowo bekommt dafür einen Gasanschluss