taz.de -- Folgen des Corona-Virus: Virus infiziert Lieferketten
In China werden viele Medikamente für den deutschen Markt produziert. Wegen der Corona-Krise könnte es zu Lieferengpässen kommen
Berlin taz | Die Europäische Medizinagentur EMA warnt vor Versorgungsengpässen mit Medikamenten durch das Coronavirus. „Der Virusausbruch in China beeinträchtigt die Herstellungsleistung wie auch die Stabilität der Versorgung, vor allem durch die Schließung von Fabriken und Transportwegen“, sagte eine EMA-Sprecherin der taz,„das kann weltweit zu Engpässen von Medikamenten führen.“
Viele Wirkstoffe für Medikamente werden i[1][nzwischen in China produziert – und dort vor allem in der vom Virus betroffenen] Gegend um Wuhan. Dem Bonner Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zufolge werden allein im Einzugsgebiet der Millionenmetropole Wirkstoffe für 19 Arzneimittel produziert. „Bezogen auf die gesamte Provinz Hubei sind nach aktueller Datenlage 153 Arzneimittel betroffen, wobei 64 Arzneimittel einen als versorgungsrelevant eingestuften Wirkstoff enthalten“, sagte das BfArM. Versorgungsrelevante Wirkstoffe sind verschreibungspflichtig und gelten als wichtig für die Gesamtbevölkerung.
Laut der europäischen Zertifikate-Datenbank werden in der zentralchinesischen Metropole unter anderem Wirkstoffe wie der Hustenlöser Acetylcystein, das Neuroleptikum Clozapin oder der bei Reanimationen und schweren Schockzuständen eingesetzte Stoff Adrenalin produziert. Allerdings schränkt das BfArM ein: „Basierend auf den aktuell vorliegenden Daten gibt es weder national noch europäisch Hinweise, die kurzfristig auf eine Einschränkung oder ein Erliegen der Arzneimittelversorgung hindeuten.“
Fachleute blicken allerdings nicht erst seit Ausbruch der Coronakrise kritisch auf die Lieferketten für Medikamente. „Lieferengpässe von Arzneimitteln sind leider schon seit einiger Zeit ein ernst zu nehmendes Alltagsproblem in vielen Apotheken“, beklagt Christian Splett von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Aus Kostengründen konzentriert sich die globale Wirkstoffproduktion inzwischen auf wenige Betriebe in Asien. Dies führe zu Abhängigkeiten und immer häufiger zu Lieferengpässen in Europa, sagt Splett. Antibiotika beispielsweise werden zunehmend in Indien bestellt. Doch viele der dortigen Firmen beziehen ihre Wirk- und Trägerstoffe ebenfalls aus China.
Vergangene Woche verabschiedete der Bundestag ein Gesetz, wonach Pharmafirmen künftig dazu verpflichtet werden können, ihre Bestände an versorgungsrelevanten Arzneimitteln zu melden. Das mag zwar den Informationsfluss verbessern, eine Lösung des grundsätzlichen Problems ist das jedoch nicht. Und so fordert die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, dass die Produktion von Wirkstoffen und Arzneimitteln für die hiesige Versorgung wieder verstärkt in der Europäischen Union stattfinden müsse.
26 Feb 2020
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Leere Apothekenregale? Was wie ein deutsches Problem wirkt, hat eine tiefer liegende Ursache: ein globales Gesundheitssystem mit wenigen mächtigen Herstellern.
Indien ergreift im Kampf gegen Corona drastische Maßnahmen: Grundstoffe sollen im Land bleiben, um Medikamentenmangel vorzubeugen.
Das Virus zeigt uns, was wir in unserer Hybris längst verdrängt haben: Die Natur ist nicht nett. Und wir haben guten Grund zur Panik.
Während China mit Zwangsmaßnahmen gegen das Virus kämpft, muss Südkorea sein demokratisches System achten – und meldet immer mehr Infektionen.
In Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg sind weitere Personen erkrankt. Experten erwarten weitere Fälle in Deutschland, warnen aber vor Panik.
Der Coronavirus ist auf dem Vormarsch – auch in Südkorea, in Italien, in Deutschland. Selbst Brasilien hat nun einen ersten Fall.
Italien meldet inzwischen sieben Corona-Tote und mehr als 220 Infizierte. Das Leben im Norden steht still, Menschen kaufen die Supermärkte leer.
Das Coronavirus wird kommen. Solange es geht, müssen wir es lokal eindämmen – auch mit Zwangsmaßnahmen.
In Sachen Corona-Bekämpfung agiert jedes EU-Land für sich. Eine gemeinsame europäische Strategie fehlt. Das könnte sich jetzt ändern.