taz.de -- Mythos Jungfernhäutchen: Anatomie gegen den Aberglauben
Der US-Rapper T.I. sagt, er lasse einmal im Jahr medizinisch überprüfen, ob seine Tochter noch keinen Sex hatte. Dabei sagen die Tests gar nichts aus.
Die sogenannte Jungfräulichkeit ist unter US-Rappern mal wieder Thema: Kanye West hat neulich in einem [1][Interview] erzählt, dass seine Mitarbeitenden am Album „Jesus Is King“ keinen vorehelichen Sex haben sollen. So weit, so schräg, aber es geht noch … besser?
Wests Kollege T.I. hat diese Woche im Interview mit dem Podcast [2][„Ladies Like Us“] geäußert, er kontrolliere bei einem jährlichen Besuch beim Gynäkologen die Jungfräulichkeit seiner 18-jährigen Tochter. Und zwar, indem er überprüfen lasse, ob das sogenannte Jungfernhäutchen noch intakt sei.
Das ist in erster Linie extrem demütigend und übergriffig gegenüber seiner Tochter. Abgesehen davon beweist T.I. hier, dass er keine Ahnung von weiblicher Anatomie hat. In einem inzwischen rausgeschnittenen Part des Podcasts fügt er zwar hinzu, er wisse, dass das Jungfernhäutchen auch ohne sexuellen Kontakt verletzt werden könnte.
Doch was er nicht zu wissen scheint: Das Jungfernhäutchen gibt’s nicht. Zumindest nicht so, wie man es sich gerne vorstellt: als straff gespannte Haut über dem Vaginaleingang.
Eher Krone als Haut
Statt um eine Haut handelt es sich aber vielmehr um eine Ansammlung ringförmig angeordneter Schleimhautfalten. Sowohl Jungfernhäutchen als auch der medizinische Fachbegriff Hymen (dt. „Haut“) sind irreführend. Expert*innen plädieren dagegen für die in Dänemark gebräuchliche Variante „vaginale Korona“ (dt. „Krone“), da sie eher wie Zacken einer Krone aussieht und nicht wie eine Haut.
Die Falten der Korona sind extrem dehnbar. Die Vorstellung, sie könnten beim Sex oder Sport „kaputtgehen“, ist Aberglaube. Wenn nach dem Geschlechtsverkehr Blut auf dem Bettlaken ist, handelt es sich meist um eine harmlose Verletzung.
Das schlimme an T.I.s fehlenden Anatomiekenntnissen ist, dass er mit seiner Reichweite einen Mythos weiterverbreitet. Ein Mythos, der noch immer dafür sorgt, dass Eltern die Hymen ihrer Töchter chirurgisch rekonstruieren lassen – als Nachweis ihrer Jungfräulichkeit.
Da man ja aber eine Haut, die gar nicht existiert, auch nicht rekonstruieren kann, werden die Fältchen angeschnitten und danach wieder zusammengenäht. Ein unnötiger und gefährlicher Eingriff.
Und um es noch einmal klarzustellen: Es gibt keine medizinische Möglichkeit, sicher zu erkennen, ob jemand vaginalen Sex hatte.
7 Nov 2019
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