taz.de -- Nach AfD-Wahlergebnis in Thüringen: Die Angst wächst stetig
Nach jedem Wahlgewinn für die AfD stellt sich für bestimmte Menschen in Deutschland die Frage: Wie sicher sind wir noch hier?
Es ist wie jedes Mal, wenn die AfD ein höheres Wahlergebnis einfährt. Diesmal Thüringen, diesmal 23,4 Prozent. Es folgt Analyse über Analyse: Was hat bloß dazu geführt? Wie viele Männer, wie viele Frauen? Wie viele 20-Jährige, wie viele 60-Jährige? Welcher Ort hat die meisten AfD-Stimmen, welcher die wenigsten? Dann die Reportagen von da, Gespräch mit: SPD-Vertreter_in, Antifa, AfD-Wähler_in. Titel: Was ist nur los in – hier Ortsname einfügen – ?
Und die große Frage: [1][Welche Koalition?] Was bedeutet das alles für die Bundespolitik? Ist Thüringen verloren? Es folgt eine Demo: „Thüringen bleibt bunt!“. Alle können aufatmen, es gibt sie noch, die Guten.
Deutschland redet über Wut, Schmerz und Schock. Redet über die Mitte. Denn da [2][wo die Mitte] ist, kann uns vermeintlich nichts passieren. Was in der Debatte aber fehlt: die Angst. Das Ergebnis in Thüringen, die [3][wachsende Macht der AfD], die Leute, die sehenden Auges einen Faschisten wählen – all das macht Menschen in diesem Land Angst. Diese Menschen sind Deutsche und Ausländer_innen, sind Schwarze Menschen und People of Color, sind Jüdinnen und Juden und Muslim_innen. Sie fragen sich nun einmal mehr: Wie lange bin ich hier noch sicher?
Es gibt zwei Arten von politisch interessierten Haushalten in Deutschland: Die, in denen nach so einem Wahlergebnis abends vorm Fernseher die möglichen Koalitionsbündnisse besprochen werden. Und die, die darüber nachdenken, ob dies jetzt das Ergebnis ist, das sie zum Wegziehen zwingt. In eine andere Stadt, in ein anderes Bundesland, in ein anderes Land.
Sie tragen Verantwortung
Es sollte allen klar sein, dass die Wähler_innen der AfD (und der NPD), für viele Menschen in diesem Land keine abstrakte Prozentzahl sind. Dass die Politik der AfD nicht einfach nur eine menschenfeindliche Ideologie ist, mit der man sich nun mal nicht identifizieren kann. Sondern dass diese Politik eine konkrete Bedrohung für die Existenz bestimmter Menschen ist. Und zwar nicht erst wenn ein Antisemit auf [4][eine Synagoge schießt]. Nicht erst wenn Schwarze Menschen [5][in Polizeizellen sterben]. Und nicht erst wenn [6][Frauen mit Kopftuch] auf der Straße zusammengeschlagen werden.
Nun halten sich viele Menschen dieser Tage damit auf zu durchsieben, ob da nicht doch auch Leute dabei sind, die es gar nicht so meinen. Die vielleicht unabsichtlich eine rechtsradikale, in Teilen rechtsextreme, eine – wie Gauland am Wahlabend nahegelegt hat – in der Mitte faschistische Partei gewählt haben.
Es sollte nun auch allen klar sein, dass diese Wähler_innen, ob sie nun trotz oder wegen Höcke, die AfD gewählt haben, mitverantwortlich sind, für das was in diesem politischen Klima passieren wird. Es ist einfach so zu tun, als wären das alles Schafe, die getrieben von der Enttäuschung durch „die Mitte“ zur AfD gelaufen sind. Schafe, die man auch so mir nichts dir nichts zurückholen könnte. Und dann wäre einfach wieder alles gut. So ist es nicht.
Denn die Schafe, das sind wahlberechtigte und erwachsene Menschen, die sich ihres Handelns und den Konsequenzen bewusst sein müssen. Sie tragen die Verantwortung für ihre Wahl. Und aus der sollte man sie nicht so einfach entlassen.
28 Oct 2019
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