taz.de -- Messermorde in Frankreich: Fragen und Vorurteile

Auf der Suche nach Ursachen für den Messerangriff durch einen radikalisierten Kollegen auf Pariser Polizisten ergeht sich Frankreich in Vorurteilen.
Bild: Nach dem Angriff: Polizisten patroullieren vor dem Tatort, einer Pariser Polizeiwache

Wenn ein Polizist Kollegen und Kolleginnen in der vermeintlich sicheren Festung der Polizeipräfektur mit einem Messer attackiert, ist das besonders schockierend. Die [1][Tat von Paris] wirft Fragen auf: Wie konnte es kommen, dass dieser angeblich so unscheinbare, aber heimlich zuerst zum Islam konvertierte und danach zum Staatsfeind radikalisierte Mickael H. nicht früher und rechtzeitig aufgefallen war? Und warum wurde „so jemand“ überhaupt in einem neuralgischen Informatikzentrum des polizeilichen Nachrichtendiensts beschäftigt?

Für die französische Opposition und die Medien müssen da diverse Kontrollmechanismen total versagt haben. Namentlich bei der Anstellung, aber auch später bei der Aufsicht durch die Vorgesetzten, mit denen der Messerstecher in Konflikt stand. Für einen Teil der Kritiker geht es da allein schon um die Tatsache, dass dieser vor nicht allzu langer Zeit konvertierte.

Das hätte, ihrer Meinung nach ein Alarmsignal sein sollen, auch wenn sie meistens dann relativierend hinzufügen, natürlich sei es an sich kein Verdachtselement, zum Islam zu konvertieren oder im öffentlichen Dienst ein gläubiger Muslim zu sein, aber …

Aber, eben: Das Vorurteil kommt nicht von ungefähr und wird durch diese dramatische Bluttat, der vier Polizeimitarbeiter zum Opfer fielen, zwangsläufig bestärkt. In vielen Köpfen keimt sogleich die Vorstellung einer „fünften Kolonne“ von Dschihadisten im Hauptquartier, das den polizeilichen Kampf gegen Terrorismus führen soll.

Das zweite Vorurteil in diesem Fall ist nicht minder verhängnisvoll: Der weitgehend gehörlose und stumme Mickael H. erhielt seine Stelle nicht trotz, sondern gerade wegen seiner Behinderung. In Frankreich muss die öffentliche Verwaltung sechs Prozent der Arbeitsplätze für Behinderte reservieren. Gut so. Doch [2][seine Behinderung], die einen seinen Kenntnissen entsprechenden Aufstieg beeinträchtigte, wurde auch zu einem Grund seiner Wut und Frustration. Wie gefährlich Vorurteile und die Reaktionen auf sie sind, darüber kann im Fall H. nur noch spekuliert werden.

7 Oct 2019

LINKS

[1] /Messerangriff-in-der-Pariser-Polizei/!5628277&s=Paris/
[2] /Taubblindheit/!5617049&s=Geh%C3%B6rlose/

AUTOREN

Rudolf Balmer

TAGS

Paris
Schwerpunkt Islamistischer Terror
Messerangriff
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Schwerpunkt Frankreich
Schwerpunkt Frankreich
Behindertengleichstellungsgesetz

ARTIKEL ZUM THEMA

Kinder in Frankreich mit Messer verletzt: Präsident Macron äußert Bestürzung

In Annecy hat die Polizei einen 32-Jährigen festgenommen. Er hat mehrere Personen lebensgefährlich verletzt, die meisten davon Kinder.

Nach Messerattacke in Paris: Frankreich will Aufklärung

Nach dem tödlichen Angriff werfen die Ermittlungen kein gutes Licht auf den Sicherheitsapparat der Polizei. Der Täter besaß sensible Informationen.

Messerangriff in der Pariser Polizei: Schärfere Kontrollen als Lösung

Frankreichs Innenminister räumt im Fall der Attacke in der Pariser Polizeipräfektur Fehler ein. Die Tat soll einen terroristischen Hintergrund haben.

Messerangriff auf Polizei in Paris: Blutbad im Präsidium

Ein Mitarbeiter des Pariser Polizeipräsidiums ersticht vier Polizisten, bevor er erschossen wird. Grund scheint ein Konflikt unter Kollegen zu sein.

Kolumne „Rollt bei mir“: Debatte in der Dauerschleife

Das neue Bundesgleichstellungsgesetz soll Menschen mit Behinderung besserstellen. Es gilt jedoch nur für Behörden – kein so spannender Ort.