taz.de -- Klimaprotestler drängen in die Politik: Fridays for Gemeinderäte

Fridays for Future wollen die Klimawende. Eine „Klimaliste“ aus Erlangen möchte das jetzt auf kommunaler Ebene umsetzen – und tritt bei Wahlen an.
Bild: Von hier ins Stadtparlament? FFF Erlangen im März

Berlin taz | Bei dieser Geschichte ist nicht ganz klar zu ermitteln, wer wen inspiriert hat: Martin Hundhausen die Erlanger Schüler*innen, die Freitags für das Klima Schulstreiken – oder die Erlanger Schüler*innen Martin Hundhausen. Wahrscheinlich ist es eine ziemlich komplexe Wechselwirkung.

Hundhausen ist Professor für Laserphysik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und gehört zu jenen Menschen, die schon seit Jahrzehnten etwas tun, was nach viel Detailarbeit und wenig Glamour klingt: Er will die Energiewende vor Ort umsetzen, in Erlangen, Mittelfranken. Und seit ein paar Monaten will er auch eine Revolution von unten lostreten.

„Überall rufen Städte jetzt den Klimanotstand aus. Wir wollen sichern, dass es nicht nur bei symbolischer Ausrufung des Klimanotstands bleibt, sondern real etwas passiert“, sagt er, als er am Telefon seine Idee erläutert. Er will in Erlangen mit einer „[1][Klimaliste“] zu den nächsten Kommunalwahlen im März 2020 antreten, die zeitgleich in ganz Bayern stattfinden. Also mit einem Zusammenschluss von Gleichgesinnten, aber nicht als Partei organisiert. Noch ist die Gruppe klein, rund 20 Leute, die auch bei Fridays for Future, Scientists for Future oder Extinction Rebellion aktiv sind.

Hundhausen hofft, dass andere die Idee der Klimalisten übernehmen. Als parlamentarischer Arm von Fridays for Future will er den Zusammenschluss nicht sehen. Eher als die Chance für all diejenigen, die in der neuen Klimaschutzbewegung mitmischen, ihre Forderungen in die kommunalen Parlamente zu tragen, ohne einer Partei beitreten zu müssen.

Vertrauen in Parteien gering

Die Idee könnte gut zur Art des politischen Engagements der jungen Klimabewegungen passen: Dort ist [2][nach einer neuen Studie] des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung das Vertrauen nämlich gering, dass Parteien die Klimakrise lösen. Viele der Befragten stimmten allerdings folgender Aussage zu: „Wenn sich Bürger*innen zusammenschließen, können sie viel Einfluss auf politische Entscheidungen in diesem Land nehmen.“

Eine Konkurrenz für die Grünen in Städten und Gemeinden sollen die Klimalisten nicht sein. „Die Grünen sind viel zu lange im Geschäft. Wir müssen viel mutiger sein, um den Wandel umzusetzen, den es jetzt braucht“, sagt Hundhausen. Er will allen, die Klimalisten gründen wollen, eine Art Baukasten anbieten, wie man damit bei einer Kommunalwahl antreten kann. Beispielsweise müssten die Listen demokratisch gewählt werden und genug Unterstützer*innen finden.

Die Erlanger Liste fordert beispielsweise, einen lokalen Klimafonds in Höhe von 20 bis 28 Millionen Euro einzurichten – und dafür auch die Gewerbesteuer zu erhöhen. Insgesamt hat die Stadt mit 112.000 Einwohner*innen einen Haushalt in Höhe von rund 400 Millionen Euro. Finanziert werden soll mit dem Fonds etwa ein kräftiger Ausbau der Photovoltaik und ein günstigerer und besserer Nahverkehr.

Die Klimaliste Erlangen ist ein Beispiel, wie sich alte und neue Klimaschützer gegenseitig inspirieren. Der Vorsitzende der Klimaliste, [3][Sebastian Hornschild], hat erst Fridays for Future in Erlangen mitorganisiert. Als Hundhausen der Gruppe im März die Unterschriften der Wissenschaftler übergab, die Fridays for Future unterstützen, beschlossen die beiden, die Klimaliste zu gründen.

Hundhausen wiederum hat bereits 2001 den Verein „[4][Sonnenenergie Erlangen]“ aufgebaut, der daran gearbeitet hat, dass sich die Schüler*innen der Stadt mit der Energiewende und dem Klimawandel befassen: Der Verein sorgte dafür, dass auf allen Schulen der Stadt Solaranlagen installiert worden sind. Hundhausen arbeitete an einer [5][Folge der „Sendung mit der Maus“] mit, die Kindern erklärt, wie Strom aus Sonnenlicht gemacht wird. Die Solarmaus dient heute in der Stadt als Unterrichtsmaterial – und zeigt, dass es kein Ding der Unmöglichkeit ist, den Klimawandel einzudämmen.

23 Aug 2019

LINKS

[1] https://klimaliste-erlangen.de/
[2] /Neue-Studie-zu-Fridays-for-Future/!5616110
[3] https://twitter.com/fshornschild?lang=en
[4] http://www.sonnenenergie-erlangen.de/
[5] https://www.wdrmaus.de/filme/sachgeschichten/solarmaus.php5

AUTOREN

Ingo Arzt

TAGS

Greta Thunberg
Schwerpunkt Fridays For Future
Erlangen
Schwerpunkt Klimaproteste
Schwerpunkt Fridays For Future
Greta Thunberg
Türkei
Greta Thunberg
Extinction Rebellion
Schwerpunkt Landtagswahlen
Greta Thunberg
Schwerpunkt Fridays For Future

ARTIKEL ZUM THEMA

Die Grünen und Fridays for Future: Dreitagebart und Anzug

Der Spagat zwischen Klimabewegung und bürgerlicher Mitte macht die Grünen erfolgreich. Bewegungen wie Fridays for Future können zur Gefahr werden.

Klimawandel im Alltag: Radikal konkret

Die Klima-Botschaft ist in diesem Jahr angekommen. Jetzt gilt es, für die Wende zu begeistern: als großartiges, gesamtgesellschaftliches Projekt.

Fridays for Future in der Türkei: Greta ist überall

Die 11-jährige Deniz Çevikus aus Istanbul streikt wöchentlich fürs Klima. Doch es ist schwer, auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen.

Klimaaktivismus in den USA: Der Greta-Effekt

UmweltaktivistInnen sind in den USA eine kleine Minderheit. Doch Greta Thunberg gibt der US-Jugend das Gefühl, etwas bewegen zu können.

Straßenblockade in Harburg: Auf dem braven Weg zur Revolution

Die Bewegung „Extinction Rebellion“ blockiert eine Kreuzung in Harburg. Dabei sollen die AktivistInnen vor allem eines – sich wohlfühlen.

Extinction Rebellion in Dresden: Alle fühlen sich wohl

Mehr als 30 junge Menschen beteiligen sich am Mittwoch bei einer Klimaschutz-Aktion in Dresden. Hierarchien gibt es keine, alles wird im Plenum besprochen.

Neue Studie zu „Fridays for Future“: Optimistisch gegen die Klimakrise

Greta Thunbergs Schulstreik gibt es seit einem Jahr. Einer Studie zufolge ist die daraus enstandene Bewegung ungewöhnlich jung und weiblich.

Fridays und Scientists for Future: Völlig neue Dialogerfahrung

Unter Wissenschaftlern trifft der Klimaprotest von Fridays for Future auf offene Ohren. Viele Forscher sind froh über eine so breite Unterstützung.