taz.de -- Prozesse zu Bild- und Tonaufnahmen: Polizei möchte ungefilmt bleiben

Neuer Vorwurf der Beamten nach aktuellen Fällen: Filme von Polizeieinsätzen verletzen die Vertraulichkeit des Wortes – wegen der Tonspur.
Bild: Die Polizei am 20. Juli in Kassel: Ein Griff in die Genitalien, dann Handy beschlagnahmen?

Dürfen Bürger Polizeieinsätze filmen? Eigentlich hatte das Bundesverfassungsgericht die Frage bejaht und damit geklärt. Doch die Polizei hat sich neue Begründungen für eine Bestrafung filmender Bürger einfallen lassen, wie aktuelle Vorgänge in Kassel zeigen.

Am 20. Juli demonstrierte dort die Neonazi-Partei „Die Rechte“. Dagegen [1][formierte sich eine Gegendemonstration]. Weil sich auch die oft militante Antifa aus dem nahen Göttingen angekündigt hatte, gab es am Kasseler Bahnhof Polizeikontrollen. Eine 35-jährige Kasseler Politologin wollte eigentlich zur Gegendemo. Doch als sie die aus ihrer Sicht „ruppigen“ Polizeikontrollen sah, nahm sie ihr Smartphone und filmte. „Dann hält sich die Polizei vielleicht etwas zurück“, hoffte sie.

Die Frau filmte, wie ein Mann an die Wand gestellt wurde und ihm beim Abtasten ein Polizist an die Genitalien griff. Wenig später wurde sogar ihr Freund, der sie begleitete, kontrolliert. Wieder griff sie zum Smartphone. Doch nun wurde das Gerät von der Polizei beschlagnahmt, denn sie habe eine Straftat begangen. Die Frau war geschockt und weinte. „Wie soll ich denn noch mit meinem Kind, das im Urlaub ist, kommunizieren“, war ihr erster Gedanke.

Stunden später gab es einen ähnlichen Vorfall. Diesmal traf es Roland Laich, der in der Göttinger Gruppe „Bürger beobachten Polizei und Justiz“ aktiv ist. Nach Ankündigung und ausgestattet mit orangefarbener Warnweste, filmte er mit seiner Digitalkamera eine polizeiliche Personenkontrolle. Auch hier schritten die Beamten ein. Die Kamera durfte er zwar behalten, doch er musste seine Personalien angeben. Strafrechtliche Ermittlungen wurden angekündigt.

Tonaufnahmen sind auch ohne Verbreitung verboten

Beide Betroffene, die sich vorher nicht kannten, wollen mit Hilfe des Göttinger Anwalts Nils Spörkel gegen die polizeilichen Maßnahmen Rechtsmittel einlegen. Sie berufen sich auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2015, die Roland Laich gut kennt. Denn er hat sie selbst erstritten.

Im damaligen Fall hatte die Polizei angenommen, dass die Aktivisten von „Bürger beobachten Polizei und Justiz“ die Aufnahmen ohne Genehmigung der abgebildeten Polizisten veröffentlichen werde, was nach dem Kunsturhebergesetz (KUG) strafbar sein könne. Doch die Karlsruher Richter erinnerten daran, dass das KUG nicht schon das bloße Filmen verbiete und eine unbefugte Verbreitung der Aufnahmen nicht einfach unterstellt werden darf. Die Aufnahme könnte ja auch „zur Beweissicherung mit Blick auf etwaige Rechtsstreitigkeiten“ dienen, so die Karlsruher Richter.

Als Nächstes muss das Amtsgericht Kassel entscheiden, ob die Beschlagnahme des Smartphones bestehen bleibt. Die Staatsanwaltschaft sieht trotz des Karlsruher Beschlusses von 2015 den Verdacht einer KUG-Verletzung. Es sei möglich, mit dem Smartphone die Aufnahme sofort im Internet zu verbreiten. Vor allem beruft sie sich auf Paragraf 201 des Strafgesetzbuchs, der unbefugte Aufnahmen des „nichtöffentlich gesprochenen Wortes“ unter Strafe stellt. Hier geht es also nicht um die Bilder, sondern nur um die Tonspur. Die Norm bedroht bereits die Aufnahme mit Strafe und nicht erst deren Verbreitung. Deshalb ist die Norm für die Polizei so interessant.

Die Politologin hält das für abwegig. „Der Polizeieinsatz fand doch in der Öffentlichkeit statt.“ Außerdem sei es wichtig, Polizeieinsätze zu dokumentieren. „Wenn Aussage gegen Aussage steht, glaubt das Gericht in der Regel ja doch der Polizei.“ Vermutlich wird sich das Bundesverfassungsgericht bald erneut mit der Frage beschäftigen müssen, ob Bürger die Polizei filmen dürfen.

6 Aug 2019

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AUTOREN

Christian Rath

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