taz.de -- Die Wahrheit: Christchurchs Mauer

Neues aus Neuseeland: Kunst und Kiwis – ein kompliziertes Verhältnis. Manchmal gar ein brutales, wie Teile der Berliner Mauer zeigen.
Bild: Angst vor einem drohenden Rassenkrieg: Blumen erinnern an das Opfer des rechten Schützen

Kunst und Kiwis – also die Leute, nicht die Vögel oder Früchte: ein kompliziertes Verhältnis. Manchmal gar ein brutales. Im April entmannte ein streng gläubiger Christ eine Maori-Statue in Tararua, weil er die nagelneue Schnitzkunst mit ausgeprägtem Holzpenis am Rand eines Wanderwegs zu anstößig fand. Der Rentner zückte eine Laubsäge, um den Phallus zu Sägespänen zu machen, und beendete sein Werk sauber mit der Motorsäge.

Droht einem deutschstämmigen Kunstwerk in Christchurch bald ähnlicher Vandalismus von Wutbürgern? Wie viel Anstößiges einer von Erdbeben und Terror-Attacke gebeutelten Stadt zuzumuten ist, wird gerade öffentlich debattiert. Denn die Stadtverwaltung sitzt seit zwei Jahren auf einem Staatsgeschenk, für das es vor Ort keine richtige Verwendung zu geben scheint: zwei Teile der Berliner Mauer.

2017 übergab die EMP Beratungsgesellschaft, die Mauerreste abbaut, dem neuseeländischen Botschafter in Berlin zwei der entsorgten Betonstücke. Jedes wiegt fast vier Tonnen. Segment Nr. 88 wurde vor vier Jahren von Schülern einer Behindertenschule bemalt und Segment Nr. 143 von einem Fan der britischen TV-Serie „Doctor Who“. SCAPE, eine Organisation für Kunst im öffentlichen Raum, half, die Teile nach Christchurch zu verschiffen. Eine Baufirma übernahm die Kosten.

Seitdem sind sie eingelagert. Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul, aber man muss ihn dennoch irgendwo unterbringen. Da die Betonreste spätestens zum 30. Jahrestag des Mauerfalls am 9. November ihr neues Zuhause schmücken sollen, wie auch andere gespendete Mauerreste rund um die Welt, muss endlich ein Stellplatz gefunden werden. Doch der Stadtrat kann sich nicht einigen.

Die Idee, das Relikt sozialistischer Schreckensherrschaft am beliebtesten Kinderspielplatz zu positionieren, kam nicht so gut an. „Abstoßend“, hieß es von vielen Bürgern und Beamten. Am Victoria Square, bei den Blumenrabatten? Nicht nur hässlich – außerdem habe dort einst eine Maori-Festung gestanden, die damit entweiht werde. Als Kompromiss wurde der Platz vor der Bücherei vorgeschlagen. Dafür fehlt noch der Segen des mächtigen Maori-Stammes Ngai Tahu.

Auch die Kosten überfordern manchen Sinn für Kunst: 10.000 Dollar für die Installation sowie 5.800 Dollar pro Jahr für monatliches Reinigen und Entfernen von zu erwartenden Graffiti. Die Nerven der ehemaligen Bürgermeisterin Vicky Buck waren durch die wochenlangen Mauerquerelen so strapaziert, dass ihr die Worte rausrutschten: „Mir ist es egal, wo sie aufgestellt werden; ich will nur, dass sie aufgestellt werden.“

Wenn es das „Bismarck“ noch gäbe, wäre allen geholfen. Das war bis zum Erdbeben von 2011 eine Kneipe in Christchurchs Innenstadt. Der ostdeutsche Wirt wusste das Mauerfall-Jubiläum vor zehn Jahren zu feiern: Er baute draußen einfach seine eigene Mauer aus Pappe auf und besprühte sie. Total geschmacklos, aber keine Kunst.

27 Jun 2019

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Anke Richter

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