taz.de -- Radfahren in Weinfranken: „Entweder Qualität oder Masse“

Eine Radtour mit Weinstopp – dort, wo der Main sich zwischen Feldern, Fachwerkhäusern und Barock hindurchschlängelt.
Bild: An der Mainschleife

Gerade erzählt Manfred Rothe noch von Malven, Wicken und Luzerne, die er zwischen den Weinstöcken pflanzt, die den Boden anreichern, lockern, Hummeln nähren, da stürzt er zu Boden, greift mit den Händen in die Erde, bröselt den beige Boden und verstummt einen Moment, als würde er einen Silvaner verkosten. „Schöne lockere Erde“, sagt Rothe, die Haare zu einem dünnen Pferdeschwanz gebunden, grau wie sein Bart. „Da haben wir Luft reingesät“, sagt er, greift nochmal mit gespreizten Fingern in die Scholle, fusselt die Wurzelfädchen einer Phazelie auseinander und schwelgt in seinem Weinberg in Nordheim in der Mainschleife.

Das blühende Grünzeug zwischen den Rebstöcken hält die Erde, wenn es mal regnet. Das Wasser sickert durch die Wurzelröhrchen in den Boden, wo sich der tiefwurzelnde Weinstock in trockenen Zeiten versorgt. „Dem seine Erde ist dann weg“, sagt Rothe und deutet auf den blanken Boden unter den Reben seines Nachbarn. Der hat da was gespritzt, damit sich kein Flughafer ansiedelt.

Als Rothe in den 1970er Jahren mit dem Bioanbau begonnen hat, versprühten die Winzer zwischen Nordheim und Eschernbach auf dem gegenüber liegenden Mainufer die Pestizide noch mit dem Flugzeug. Ausgelacht wurde Rothe, wenn er was vom Buchweizen als „Niere des Bodens“ erzählte. Da lacht heute niemand mehr, denn seine Weine sind international ausgezeichnet.

Der Boden bildet das Terroir der Weine und das Terrain für Radlerinnen auf dem Mainradweg. Von gewellt bis steil können sie den Weg durch Äcker, Dörfer, Streuobstwiesen, Weinberge auch mit einem Glas Silvaner intus fahren. Muschelkalk hat sich mitten in Franken getürmt, Flugsande abgelagert, Gipskeuper und Buntsandstein gebildet und alles so zu Hügeln geformt, dass Silvaner, Weißburgunder, Riesling, Muskateller bestens gedeihen. Gut für den Wein und auch für Radler ist, dass es im Maindreieck wenig regnet und oft die Sonne scheint.

Der Main schlängelt sich zwischen Feldern, Fachwerkhäusern und fränkischem Barock, Renaissance-Schätze können hinter jeder Kirchentür lauern und davon gibt es hier viele. Wir wollen jedoch nicht Maria im Weingarten kennenlernen, sondern die zu ihren Füßen wachsenden Weine in der Mainschleife. In den Kurven des Mains bildet die Mainschleife mit Maininsel eine Art Großes Gewächs, eine abwechslungsreiche Gegend mit prallen Würsten und Kopfsülzen, würzigen Brotlaiben, Spargel vom eigenen Feld und Saibling aus fränkischer Teichwirtschaft.

Um den Müller-Thurgau nochmal zu entdecken oder eine Scheurebe zu erkunden, kommt man nur langsam voran. Ein ausgezeichnetes Weingut liegt neben dem anderen und alle locken zum Probieren. Was soll’s, die Sonne scheint, die Luft ist trocken, der Kuckuck ruft, und radeln kann man auch später noch.

Manfred Rothe gewinnt aus dem Sand und Muschelkalk des Bodens kühl-mineralische Weißweine, die an diesem heißen Tag Ende April die Sinne erfrischen und nicht ermatten. Mit vollem Körper entfalten Silvaner, Weißburgunder, Scheurebe eine tonig aromatische Fülle, hinterlassen manchmal einen angenehm fruchtigen Geschmack. Vollkommen mineralisch und kühl bis zum letzten Geschmacksatom ist der Kvevris, ein Silvaner aus einer georgischen Tonamphore.

Mineralische Kühle aus dem Muschelkalk

2013 hat Rothe zwei 1.200 Liter fassende Amphoren im Keller eingemauert und keltert darin wie in archaischen Zeiten. Allein seine Auswahl der Trauben entscheidet über die Qualität des Weines: Rothe gibt die Trauben in die Amphore, stampft sie, rührt mit einem zwei Meter langen ungeschälten Kirschbaumast um, macht einen Deckel drauf, beschwert mit Steinen und wartet neun Monate.

„Es gibt entweder Qualität oder Masse – dazwischen ist ausgestorben“, sagt Christian Müller, mit 32 Jahren Winzer in vierter Generation im Weingut Max Müller I in Volkach. Er wischt seine mit Magnesiumstaub bedeckten Hände an der Jeans ab, erzählt von Ratsherr am Kirchberg, Katzenkopf und Karthäuser, besten Lagen der Mainschleife, wo seine Familie wie auch die anderen großen Winzerfamilien ihre großen Weine anbauen. Große Gewächse fließen von dort in die Bocksbeutel und werden mit Auszeichnungen überhäuft.

Mit noch immer staubigen Händen schenkt Christian Müller einen Silvaner vom Ratsherrn aus und vergleicht dessen mineralische Kühle aus dem Muschelkalk mit den würzigen Aromen eines Silvaners, den er von September bis Mai im Eichenfass ausbaut. Müller kommt gerade aus dem Weinberg und hat Magnesium in den Boden gearbeitet. „Ich mache das nach Augenschein“, sagt er. „Das letzte Mal hat das mein Opa gemacht.“

Durch die Steillage von Escherndorf rauschen wir bei gefühlten 16 Prozent Gefälle zwischen den Rebstöcken hindurch. Die Sonne brennt, der helle Boden reflektiert die Wärme, und es wird klar, warum dieser Hang mit 70 Grad Neigung am Main die starken Lagenweine hervorbringt. In der Weinwelt ist der Steilhang als Escherndorfer Lump bekannt, denn wie Lumpen oder Lappen hängen die schmalen Parzellen der Weinbauern und Winzer aneinander.

Sorge um den Klimawandel

„Du spürst die Glut“, sagt Michael Fröhlich zwischen Silvaner- und Rieslingreben in seinem Lump. Im Sommer wird es zwischen den Rebstöcken 42, 44, gar 48 Grad heiß. Fröhlich kühlt sich im Weinkeller, nachdem er seine Trauben ausgewählt, die Blätter geschnitten hat.

Berg und Reben wollen das ganze Jahr bearbeitet werden, damit die Trauben in Michael Fröhlichs Keller zu Spitzenweinen reifen. 1.200 bis 1.500 Stunden arbeiten er und seine Leute im Steilhang pro Jahr. In seinen ebenen Lagen schafft er dieselbe Arbeit in 250 Stunden. „Das Schönste machen wir auch mit der Hand – die Ernte“, sagt Fröhlich, der schon als Kind mit seinem Vater in den Lump gestiegen ist und nun mit seiner Frau Eva, Tochter und Sohn den Betrieb als Prädikatsweingut führt.

Er sorgt sich über den Klimawandel und ob die Steillage sich „von den anderen Weinen abhebt“ – auch in Zukunft. „Alles muss frischer, lebendiger sein“, sagt Fröhlich, der konventionell arbeitet und Tradition und Gegenwart zusammenbringt. Mit 14 anderen Winzern hat er den ehemals verrufenen Müller-Thurgau neu erfunden. Seine fruchtig-trockene Variante füllt Fröhlich als „M-TH“ im gestylten Bocksbeutel mit roter Banderole ab.

Von Escherndorf setzt eine Fähre über den Main nach Nordheim. Durch blühende Apfelbäume, verwilderte Gärten und lumpengroße Spargelbeete führt der Weg nach Sommerach. Der Name klingt wie eine Familiensaga und auch hier schreiben die Jungen der Region die Geschichte von Wein, Genuss und Wirtschaft fort.

Modernisierung bei der Genossenschaft

Im Keller der Winzergenossenschaft Sommerach haben sie vor zehn Jahren die Butzenscheiben gegen Glasscheiben bis zum Boden ausgetauscht, aus den Eichenbalken der Decke haben sie Stehtische geschreinert. Schräg gegenüber laden Toni und Magdalen Müller zum Verweilen in die Villa Sommerach. Toni ist der Bruder von Christian Müller aus Volkach, der in kleinen Parzellen seine Reben wachsen lässt und daraus Weine macht, die ironisch im Namen tragen, aus welcher Lage sie kommen. Bergauf, Ganznah, Weitdraussen.

„Im Weinberg wird der Wein gemacht“, sagt Kordula Geier im stadteilgroßen Weinkeller des Juliusspitals in Würzburg. Aus Wein-Sicht liegen Barock und Residenz zu Füßen des Würzburger Stein, noch eine Toplage am Mainradweg. Die dortigen Weinberge des Juliusspitals finanzieren unter anderem die karitativen Dienste im Spital seit 1576. Einer der heutigen Kellermeister kam 2010 mit 28 Jahren ins Juliusspital und traf dort auf Große Gewächse im Berg, unter den Kellerleuten und auf Winzerin Kordula Geier. Seit 40 Jahren arbeitet sie mit dem fränkischen Wein.

Als eine der ersten Frauen in der männlichen Weinwelt rund um die Mainschleife durfte sie in den 1980er Jahren nicht mit in den Keller oder den Weinberg, wie sie erzählt. Heute leitet sie den Vertrieb des Juliusspitals, des zweitgrößten Weinguts Deutschlands. „In schlechten Jahren zeigen die großen Lagen, was sie können“, sagt Geier und lässt einen 2017er Riesling vom Würzburger Stein im Glas kreisen. Er könnte noch Jahre in der Flasche liegen und würde dann erst zeigen, was in ihm steckt. Schon jetzt ist er beeindruckend.

„Für ein Großes Gewächs ist das ein kleines Kind“, sagt Geier und riecht an einem 2018er Silvaner vom Iphöfer Julius-Echter-Berg, benannt nach dem Stifter des Juliusspitals. „Diese Weine haben uns den Ruf zurückgebracht, die besten Weißweine der Welt zu machen“, sagt Geier, nimmt einen Schluck.

Über die Alte Mainbrücke geht es raus aus der Stadt. Am Abend drängen sich dort Einheimische und Reisende, schauen mit einem Glas Silvaner in der Hand, wer da noch rumsteht, redet und flaniert. Der Westwind bläst Wolken voran und bringt Nieselregen. Der Wein wird sich freuen.

9 Jun 2019

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Fokken

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