taz.de -- Die Wahrheit: Leicht bekleidet an der Bezahlschranke

Während Anatomie oft mühselig mit einem Erwachsenen-Code freigeschaltet werden muss, wird enthemmte Gewalt frei Haus geliefert.

Ich würde gern mehr Titten sehen, derb gesprochen. Meinetwegen auch Brüste. Mit Anatomie kenne ich mich so wenig aus, dass ich nicht einmal weiß, ob es sich bei der weiblichen Brust um ein primäres, sekundäres oder tertiäres Geschlechtsmerkmal handelt. Merkmale halt.

Kürzlich sorgte eine Werbekampagne des Verkehrsministeriums für Aufsehen und führte, wie jegliches Aufsehen heutzutage, sogleich zu Aufruhr. Zu sehen waren „leicht bekleidete“ Damen mit Fahrradhelm, der, wie immer, total scheiße aussah. Der Slogan lautete: „Looks like shit. But saves my life“, und das ist sexistische Kackscheiße, um im Jargon zu bleiben.

Persönlich störte mich das Leichtbekleidete eher deshalb, weil ein Helm wenig nützt, wenn bei einem Sturz die übrige Haut dem Abrieb des Asphalts ausgesetzt ist. Wir Motorradfahrer kleiden uns daher nach der schönen Devise: „Don’t dress for the ride, dress for the slide.“

Neulich war ich mal wieder in Amsterdam, und Amsterdam ist auch sexistisch. Bei der Altstadt handelt es sich um ein einziges Großbordell, mit Frauen unterschiedlichster Provenienz und Körbchengröße in Schaufenstern. Es müsste vor diesem Viertel eigentlich eine Bezahlschranke geben, mindestens aber einen Zugangscode für Erwachsene.

Den gibt es, wie ich neulich mal wieder beim abendlichen Prokrastinieren merkte, bei Netflix. Ich schaute mir den Film „Deadpool“ an, darin ein erfrischend gestörter Superheld auf Rachefeldzug geht und unzählbare – wirklich: unzählbare, ich hab’s versucht und schon nach fünf Minuten den Überblick verloren – Ganoven um die Ecke bringt.

Es wird aufs Bestialischste gemetzelt. Aber humorvoll! Menschen klatschen mit Karacho gegen Verkehrsschilder und verwandeln sich in blutigen Matsch, ersticken an Zigarettenanzündern oder bekommen – ganz klassisch – Kugeln in den Kopf, sofern der nicht vorher abgetrennt worden ist. Es wird verbrannt, zerquetscht, verätzt und „zu Schaschlik verarbeitet“, wie der Held an einer Stelle belustigt einräumt. Gefoltert wird auch, dass es eine helle Freude ist.

Ich will mich „nicht so haben“ und keineswegs beschweren, dass man bei Netflix da einfach draufklicken und sich das dann anschauen kann. Faszinierend ist nur, dass ich ein paar Tage später „The Dirt“ sehen musste, ein eher lahmes Biopic über die Karriere von Mötley Crüe. Darin tun ein paar Rockstars in den achtziger Jahren, was Rockstars in den achtziger Jahren eben so taten. Niemand wird zerfetzt, filetiert oder anderweitig massakriert. Es wird gekokst, das schon. Und gevögelt, sogar humorvoll. Wobei, das lässt sich beim Vögeln bisweilen nicht vermeiden, auch gewisse Merkmale im Bild sind. Weshalb den Film nur sehen kann, wer zuvor einen fünfstelligen Code eingibt.

Ich habe das Gefühl, irgendwas stimmt gerade ganz gewaltig nicht. Keine Ahnung, was genau. Ich bekomme es einfach nicht freigeschaltet.

17 Apr 2019

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Arno Frank

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