taz.de -- Die Wahrheit: Maori ohne Sieg Heil

Neues aus Neuseeland: Sogar Neonazi-Aufmärsche sind im Land der weißen Wolke mitunter Multikulti-Veranstaltungen.
Bild: Auf dem Weg zu den Verletzten im Krankenhaus liegt ein Meer von verwelkenden Blumensträußen

Eine Gewalttat bringt manchmal das Beste in den Menschen hervor: Nach dem Attentat auf zwei Moscheen in Christchurch ergoss sich eine unbeschreibliche Welle der Hilfsbereitschaft über die Stadt und das Land. Und plötzlich gibt es eine Premierministerin, der man tatsächlich gern die Weltherrschaft überlassen würde. Seit Jacinda Ardern zeigte, wie man mit Herz führt, heißt es für große Jungs nicht mehr „harden up!“, sondern „ardern up“ – lieber Mitgefühl statt Härte.

Ein Verbrechen bringt aber auch Gestalten ans Licht, bei denen man nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll. Brian Tamaki, Bischof der Erweckungskirche „Destiny Church“, verkündete nach dem Erdbeben vor acht Jahren, dass Naturkatastrophen die Reaktion Gottes auf Homosexualität seien. Tamaki lässt sich von seinen Anhängern wie jeder anständige Fernsehprediger gut bezahlen und liefert dafür Schlagzeilen. Die hatte er dann eine Woche nach dem Massaker.

Das erste Freitagsgebet vor der Al-Noor-Moschee wurde live im Land auf allen Sendern übertragen. Für den Bischof stimmte die Welt, in der Schwule Erdbeben auslösen können, nicht mehr. Der Ruf des Imams bedeutet: „Es gibt keinen Gott außer Allah.“ „Nun, ich widerspreche“, twitterte der Sektenchef als Kiwi-Instanz. „Jesus Christus ist der einzig wahre Gott … das sind nicht wir!“ Ihm wurde höflich widersprochen. „Brian, er war der Sohn Gottes. Bitte lies das Buch noch mal richtig.“

Und dann waren da die Maori-Gangs, die sich schützend vor die Moscheen stellten und ihren Haka machten. Da bekommt man Gänsehaut, wenn selbst schwere Jungs, deren Fokus sonst eher auf dem Metamphetamin-Geschäft liegt, plötzlich Herzenspower für Betende zeigen. Der Sinneswandel dieser halbkriminellen Randgruppen ging jedoch weiter. Der Schlachtruf des Mongrel Mob Kingdoms lautet seit dem schwarzen Freitag nicht mehr „Sieg Heil!“.

Diese Landeskunde muss bei allen Fans von Aotearoa jetzt erst mal sacken: Nichtarische Urbewohner eines Südseelandes, die in der Rassenkunde der Nazis eher im unteren Bereich rangierten, begrüßen sich seit fünfzig Jahren mit der Parole der NSDAP. Mongrel-Mob-Präsident Paio Fatu erklärte, dass der faschistische Ausruf für seine Gang stets nur Rebellion war, reiner Schockeffekt: „Ich hab nie richtig tiefer geschaut, mit Hitler und all dem Kram. Ich bin so aufgewachsen.“

Neonazi-Aufmärsche in Neuseeland hatten bisher nicht die Truppenstärke wie in Europa. Aber in den Reihen der braunen Kameraden sah man immer wieder Maori. Oft sind sie im Gefängnis radikalisiert worden, vereint mit Rechten im Hass auf asiatische Einwanderer. So wie es Maori gibt, die zum Islam konvertierten, gibt es Maori, die sich ein Hakenkreuz auf die Stirn tätowierten. Das verbraucht auch weniger Tinte als der Satz „Geschichte ist nicht mein Ding“.

Neuseeland, das wissen jetzt alle, ist einmalig. Sogar die Neonazis sind dort bikulturell.

4 Apr 2019

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Anke Richter

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