taz.de -- Afghanische Aktivistin über Frauenrechte: „Warum zahlen wir immer drauf?“

Roshan Tseran spricht über den „Frauenratschlag“ in Kabul. Die Aktivistin beschreibt die weibliche Dimension des Friedensprozesses in Afghanistan.
Bild: Vor allem in ländlichen Regionen Afghanistans tragen noch viele Frauen Burkas

taz: Frau Tseran, in Kabul ist ein „Frauenratschlag“ zu Ende gegangen, um eine gemeinsame Position der afghanischen Frauen zur Zukunft des Landes zu formulieren. Eine afghanische Korrespondentin schrieb in der New York Times, dass nur eine der 3.500 Teilnehmerinnen verschleiert war. Ist das ein Zeichen, dass die Versammlung von städtischen Frauen dominiert war?

Roshan Tseran: Wir haben über Monate in allen Provinzen mit vielen Frauen gesprochen, auch mit vielen im ländlichen Raum. Aber viele von ihnen können nicht nach Kabul reisen – wegen der Sicherheitsprobleme oder weil ihre Familien es nicht erlauben. Wir haben hier auch für sie gesprochen. Die Hauptsache ist, dass die Welt uns jetzt gehört hat.

Der Ratschlag sollte erst über zwei Tage gehen, wurde dann verschoben und dauerte schließlich bloß dreieinhalb Stunden. Die Resolution war schon vorher fertig, wurde nur verlesen, und niemand hatte die Chance, noch etwas daran zu ändern. War das doch nur eine Regierungsveranstaltung?

Ja, die Regierung hat das organisiert und für alles gezahlt. Aber darum geht es nicht. Wir wären auch zu Fuß gekommen. Wir erlauben auch nicht, dass irgendjemand uns für seinen Wahlkampf missbraucht. Es gab ja nicht nur diese Versammlung. Wir haben einen Impuls gesetzt, der viele Frauen erreicht hat. Wir müssen jetzt mit ihnen weiterarbeiten, vor allem mit jenen, die im Krieg Opfer zu erleiden hatten.

Die Taliban sagen, dass sie die Rechte von Frauen und Mädchen auf Bildung, Arbeit, politische Aktivität anerkennen – im Rahmen der Scharia.

Sie sagen, dass Mädchen nur bis Klasse 6 zur Schule gehen sollen und dass Frauen nur als Lehrerinnen in Mädchenschulen arbeiten dürfen. Dabei haben sie in Moskau (beim dortigen „innerafghanischen Dialog“ Mitte Februar, d. Red.) sogar zugegeben, dass sie selbst Söhne und Töchter haben, die einen Universitätsabschluss oder einen Doktortitel besitzen. Aber den Frauen in Afghanistan wollen sie das nicht zugestehen. Für uns ist das inakzeptabel.

Viele der Rechte, die Sie in den Verhandlungen mit den Taliban verteidigen wollen, stehen in der Verfassung, werden aber nicht umgesetzt. Wie gehen Sie damit um?

Stimmt. Nehmen Sie unsere politischen Parteien: Eigentlich dürften laut Gesetz nur jene registriert werden, deren Mitgliedschaft zu 30 Prozent aus Frauen besteht. Das zuständige Justizministerium achtet darauf aber überhaupt nicht. Niemand in der Regierung interessiert sich wirklich für Genderfragen. In der Zivilgesellschaft ist das anders: Dort haben wir Frauen uns unseren Platz erkämpft, und nun kämpfen wir darum, dass das auch im gesamten Friedensprozess geschieht.

Die Taliban erkennen diese Verfassung nicht an, wollen zumindest Änderungen. Bei den Verhandlungen wird es Zugeständnisse geben müssen.

Wir wollen, dass die Verfassung umgesetzt wird. In Artikel 22 ist von Rechten für alle Bürger die Rede, von Männern und Frauen. Sie gibt ja auch den Taliban alle Rechte. Sollen sie kommen und sich Wahlen stellen, für das Präsidentenamt kandidieren, ihre Söhne und Töchter schicken, damit sie sich durch unsere Verwaltungsreformkommission für Ämter auf niedrigerer Ebene bewerben! Ihnen steht das genauso zu wie uns. Die

Frauen sollen alle Rechte haben, die in der Verfassung stehen – auf Bildung, auf Arbeit, in der Politik und im Business aktiv zu werden. Sie sollen auch frei sein zu sagen, ich will zu Hause bleiben und mich nur um die Kinder kümmern. Wir wollen nicht mehr, als das Gesetz und der Islam uns zugestehen. Warum sollen beim Geben und Nehmen immer wir Frauen draufzahlen? Wir wollen nichts aufgeben, was wir uns in den letzten 18 Jahren erkämpft haben.

Es geht auch um Rechte wie Presse- und Redefreiheit.

Es hilft nichts, dies im luftleeren Raum zu bereden. Wir müssen uns mit den Taliban zusammensetzen. Dafür brauchen wir Druck der internationalen Gemeinschaft auf sie.

3 Mar 2019

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Thomas Ruttig

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