taz.de -- Kommentar Mobilfunkausbau: Der Milchkannen-Mist

Die Bundesregierung versucht mit dem 5G-Ausbau, fortschrittlich zu erscheinen. Doch sie ist industriebrav und getrieben von der Angst vor Neuem.
Bild: Ob diese beiden fröhlichen Landwirt*innen an ihrer Milchkanne gerne 5G hätten?

Milchkannen. Da wird in Deutschland eine wegweisende Entscheidung darüber getroffen, wie es hierzulande weitergehen wird mit dem neuen Mobilfunkstandard 5G [1][und die Bundespolitik diskutiert über Milchkannen]. Ob jede einen Internetanschluss brauche und wie schnell das gehen müsse, ob sie letztlich das Symbol für einen Melkroboter sei und das mit der Notwendigkeit zum Anschluss daher keine Frage.

Doch, wirklich, Bundespolitiker:innen haben sich dazu allen Ernstes in den vergangenen Wochen zu Wort gemeldet. Und das ist tatsächlich ein Symbol, und zwar dafür, wie zukunftsängstlich, industriebrav und verbraucherfeindlich die Digitalisierungs- und Technologiepolitik der Bundesregierung ist. Wie sie krampfhaft versucht, [2][dieses Bild mit der Debatte um 5G] in ein fortschrittliches zu verwandeln, dabei aber grandios scheitert.

Man kann das durchdeklinieren an Hand von diversen Entscheidungen oder Nicht-Entscheidungen rund ums Internet, aber auch einfach ein Stück nach links und rechts schauen. Zum Beispiel zur Künstlichen Intelligenz (KI). Da kann man von gefährlich über überflüssig bis hin zu weltrettend zu verschiedenen Einschätzungen kommen.

Die Bundesregierung hat nun vor zwei Wochen ein Strategiepapier vorgestellt, das einen auch nach 47 Seiten Lektüre ratlos zurücklässt. Fraglich ob sie KI wirklich für so wichtig und vielversprechend hält, wie sie darin betont. Denn wenn die Technologie wirklich so zentral wäre für die „Sicherung der künftigen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands“, hätte die Regierung eines nicht ganz unwichtigen Players innerhalb der EU es nicht schaffen sollen, sich so eine Strategie zurechtzulegen?

Und zwar bevor die Unternehmen aus China und der USA so weit vorne sind, dass sie den Markt mit ihren Produkten – und ihren Regeln – dominieren? Das ist bei Onlinediensten – Suchmaschinen, Messenger, Netzwerke – schon schiefgegangen. Und es sollte besser nicht noch einmal schiefgehen, wenn die KI eines Tages so weit ist, dass sie Autos steuern kann.

Überhaupt Autos. Der Umgang mit der Automobilindustrie kombiniert wunderbar die drei Probleme: Angst vor Neuem, Industriebravheit, Verbraucherfeindlichkeit. Verkaufsfördernde Maßnahmen haben ja bislang keine nennenswerte Menge an Elektroautos auf die Straße gebracht. Der nächste Schritt wäre also entweder sanftere Stupse, wie die blaue Plakette oder härtere, etwa flächendeckende strenge Grenzwerte.

Doch anstatt den Herstellern so einen Anstoß zu geben und zu sagen: „Liebe Leute, wenn ihr in Sachen saubere Mobilität nicht mal bald vorankommt, dann werdet ihr enden wie die Kutschenhersteller damals“, passiert nichts. Das könnte natürlich auch ein cleverer Teil einer Deindustrialisierungsstrategie sein. Aber Strategien – siehe Künstliche Intelligenz – kommen bei der Bundesregierung ja eher zu spät.

Also weiter. Bei der Netzneutralität reichte es nur für eine halbherzige Regelung, die eher den großen Telekommunikationskonzernen zugute kommt als den Nutzer:innen. Bei fortschrittlichen Ansätzen aus der EU – Datenschutz-Grundverordnung oder aktuell die e-Privacy-Verordnung – bremst Deutschland, anstatt starken Verbraucherschutz zu fördern.

Es geht um Teilhabe an der Gesellschaft

Und bei der Internetversorgung gibt es immer noch haufenweise Ecken, die im Breitbandatlas dunkelblau gekennzeichnet sind: Nur bis zu zehn Prozent der Haushalte bekommen hier mindestens 50 Megabit pro Sekunde. Sogar in Sachen Digitalsteuer, die am Dienstag beim Treffen der EU-Finanzminister wieder Thema werden wird, ziert sich die Bundesregierung.

Die Angst: Wenn US-Konzerne wie Google und Amazon in Europa zahlen müssen, könnten es die USA etwa deutschen Autokonzernen schwerer machen. Da ist sie wieder, die Industriebravheit.

Nun also die alles entscheidende Milchkannen-Debatte. Dabei verdeckt die Frage, welches Alltags-Gerät einen Internetanschluss braucht, dass bei etwas viel Elementarerem hierzulande noch einiges an Nachholbedarf besteht. Denn noch immer haben nicht alle Menschen Zugang zu einem brauchbaren Internetanschluss. Und da geht es nicht einmal um Netflix und Instagram, sondern um den Zugang zu Informationen und der Teilhabe an einer Gesellschaft, die nun einmal zunehmend digital funktioniert, ob man das jetzt gut findet oder nicht.

Einzelne Faktoren verstärken sich gegenseitig

Doch es wird bei 5G wohl weder schnell noch flächendeckend werden, dazu fehlen Vorgaben für einen wirklich flächendeckenden Ausbau und für eine verpflichtende Kooperation unter den Mobilfunkanbietern, die Firmen ohne eigenes Netz stärkt und somit auch den Wettbewerb. Dafür könnte die Bundesregierung die rechtliche Grundlage schaffen. Stattdessen bleibt es beim Oligopol der großen drei, bei hohen Preisen für eher mauer Qualität.

Industrie vor Verbrauchern. Und weil auch hier alles mit allem zusammenhängt, macht die schlechte Netzversorgung es nicht attraktiver, sich als Firma, Familie oder Stadtflüchtende:r auf dem Land niederzulassen – was angesichts der Situation in den Metropolen für manche eine interessante Alternative wäre. Wenn es denn brauchbares Netz gäbe. Dass die Versteigerung der 5G-Lizenzen ursprünglich mal 2018 stattfinden sollte und dann auf 2019 verschoben wurde, fällt da kaum mehr ins Gewicht.

So verstärken sich die einzelnen Faktoren in Zeiten der Digitalisierung gegenseitig. Die Angst vor neuen Technologien führt dazu, dass sie erst später eingesetzt und rundherum neue Anwendungen oder Produkte entwickelt werden können. Die Standards aber machen die Ersten. Da ist es egal, ob es um das Laden von Elektroautos oder Datenschutz-Regeln für Online-Netzwerke geht. Bei Künstlicher Intelligenz und dem Internet der Dinge, für das 5G die Voraussetzung bilden soll, wird das nicht anders sein. Aber, weil damit noch mehr Bereiche des Lebens betroffen sein werden, noch viel deutlicher.

3 Dec 2018

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AUTOREN

Svenja Bergt

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