taz.de -- Tod Steffen Meyns im Hambacher Forst: Familie greift NRW-Regierung an
Hat Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul den Tod eines Doku-Filmers instrumentalisiert? Das sagt seine Familie.
Berlin taz | Die Familie des [1][Kunststudenten Steffen Meyn], der im September im Hambacher Wald tödlich verunglückt ist, hat [2][in einem offenen Brief] schwere Vorwürfe gegen den nordrhein-westfälischen Innenminister Herbert Reul (CDU) erhoben. „Wir empfinden, dass der Innenminister den Tod Steffens benutzt, um gegen die Baumhausbewohner*innen zu hetzen“, heißt es in dem Brief, den Kathrin Meyn, die Schwester des Verstorbenen, an die taz weiterleitete.
Der 27-jährige Meyn hatte im Rahmen seines Studiums an der Kölner Kunsthochschule für Medien an einer Langzeitdokumentation über den Protest im Hambacher Wald gearbeitet. Um die Räumung der Baumhäuser zu dokumentieren, war er am 19. September mit seiner Kamera selbst in ein Baumhaus geklettert. Bei der Überquerung einer Hängebrücke [3][stürzte er aus rund 20 Metern in die Tiefe] und erlag kurze Zeit später seinen schweren Verletzungen.
Dass Eltern und Geschwister sich nun erstmals öffentlich zu Wort melden, liege daran, „dass Aussagen von Landespolitikern und das Verhalten von Behörden unsere Trauer und unseren Schmerz verstärkt haben“, schreiben die Angehörigen. „Und wir möchten nicht stehen lassen, was im Zusammenhang mit Steffens Tod von Seiten der Landesregierung veröffentlicht wurde.“
Im Mittelpunkt der Kritik steht Innenminister Reul. Dieser hatte nach dem Unfall erklärt, die Schuld dafür trügen die ErbauerInnen der Hängebrücke. Zudem hatte er behauptet, AktivistInnen hätten in unmittelbarer Nähe des Unfallorts und im Wissen um den Tod des Studenten „Schmähgesänge“ angestimmt.
Nachdem mehrere ZeugInnen dem widersprochen hatten, hatte das Innenministerium dann von einem „Missverständnis“ gesprochen, doch anschließend [4][wiederholte Reul die Vorwürfe leicht abgewandelt erneut]. Das sei eine „unerhörte und nachweislich falsche Aussage“, schreibt die Familie. „Diese Instrumentalisierung seines Todes für eigene Zwecke löst Empörung und Wut in uns aus und lässt uns nicht zur Ruhe kommen.“
Daneben kritisiert die Familie auch die Vorgänge unmittelbar nach dem Tod. Dass der Leichnam gegen den Willen der Eltern und ohne Begründung obduziert wurde, empfinden diese als „völlig überflüssig und rechtswidrige Störung der Totenruhe“, denn durch Meyns Helmkamera und die zahlreichen Zeugen sei klar gewesen, dass keine Fremdeinwirkung vorlag.
Auch dass die Räumungsarbeiten nicht unterbrochen wurden, als die Eltern wenige Tage nach dem Tod den Unglücksort besuchten habe diese „zutiefst schockiert“, heißt es im Brief. „Fassungslos“ mache die Familie zudem, dass die an der Todesstelle eingerichtete Gedenkstätte in der letzten Woche von RWE-Mitarbeitern geräumt wurde.
Innenminister Herbert Reul bestätigte auf taz-Anfrage den Eingang des Briefes. Er habe „allergrößtes Verständnis für die tiefe Trauer“, teilte der CDU-Politiker mit. Weil der Tod des jungen Mannes ihn selbst sehr betroffen gemacht habe, habe er „unmittelbar nach dem schrecklichen Todesfall „ persönlichen Kontakt zur Familie aufgenommen, schreibt Reul der taz. „Aus diesem Grund möchte ich auf diesen offenen Brief nicht so reagieren, wie man das sonst im politischen Geschäft machen würde – und angesichts der gegen mich persönlich erhobenen Vorwürfe vielleicht auch tun müsste.“ Aussagen zu einzelnen Kritikpunkten oder eine Entschuldigung enthält die Stellungnahme nicht.
Meyns Schwester widersprach gegenüber der taz Reuls Aussage, dass er von sich aus direkt nach dem Unglück Kontakt zur Familie aufgenommen habe. „Das war nicht der Fall“, erklärte Kathrin Meyn. Erst nachdem sie sich seinerzeit wegen der angekündigten Räumung der Gedenkstelle bei der Staatskanzlei beschwert habe, sei es mehrere Tage nach dem Unfall zu einem Anruf durch Reul gekommen.
28.11.2018, 18:09 Uhr: Dieser Text wurde mehrfach aktualisiert.
28 Nov 2018
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