taz.de -- Kreuzberger Debatte: Ein Platz für Rio Reiser?

Soll der Mariannenplatz mitten im alten SO36 nach Rio Reiser benannt werden? Dazu werden in Kreuzberg jetzt Anwohner*innen befragt.
Bild: Feiernde auf dem Mariannenplatz in Kreuzberg am 1. Mai 2011

Wenn es eine Kreuzberger Hymne gibt, dann ist das wohl der Rauch-Haus-Song von Ton Steine Scherben. „Der Mariannenplatz war blau, so viel Bullen waren da“, singt Rio Reiser von der Besetzung des Bethanien 1971. In den Strophen kann man schon mal über „Mensch Meier“ oder die „Knüppelgarde“ stolpern. Aber spätestens beim Refrain lässt es sich wunderbar mitbrüllen: „Ihr kriegt uns hier nicht raus! Das ist unser Haus, schmeißt doch endlich Schmidt und Press und Mosch aus Kreuzberg raus.“

Insofern erscheint es sehr passend, den Mariannenplatz in Rio-Reiser-Platz umzubenennen. Für diesen Vorschlag warb Pascal Meiser von der Linkspartei kurz vor der Bundestagswahl im Herbst 2017. Damals soll Monika Herrmann, grüne Bürgermeisterin des Bezirks, das laut Tagesspiegel noch als „Wahlkampfgag“ bezeichnet haben.

Im September 2018 beschloss die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg dann mit den Stimmen aller Parteien außer CDU und AfD, Rio Reiser angemessen zu ehren. Aber wie? Und wo?

Bisher heißt der Mariannenplatz wohl nach der preußischen Prinzessin Maria Anna Amalie von Hessen-Homburg, die anders als Rio Reiser keinen Bezug zu Kreuzberg hatte. Ganz sicher sei das aber nicht, sagt Erika Hausotter vom Friedrichshain-Kreuzberg-Museum. Es könnte auch eine andere Marianne gemeint sein. Wenn sogar unklar ist, wer mit dem Platz genau geehrt wird, sollte einer Umwidmung nichts im Wege stehen. Könnte man meinen.

Zwar keine Frau, aber immerhin schwul

Doch da gibt es ein Problem: Der Bezirk hat 2005 beschlossen, Straßen so lange bevorzugt nach Frauen zu benennen, bis Gleichheit hergestellt ist. Nach wie vor sind auf den Straßenschildern deutlich mehr Männer als Frauen vertreten. Auch wenn sonst viel für Rio Reiser spricht, eine Frau war er eindeutig nicht.

Um Marianne nicht einfach so vom Schild zu schubsen, befragt der Bezirk nun die AnwohnerInnen. 5.000 Haushalte und Gewerbetreibende in den Kiezen rund um die Oranienstraße und den Görlitzer Park wurden angeschrieben. Die AnwohnerInnen sollen angeben, was sie vom alljährlichen Myfest halten – und eben von einer Ehrung des Scherben-Sängers.

Soll der Mariannenplatz nach Rio Reiser benannt werden? Oder doch besser der benachbarte Heinrichplatz? Heinrich gehörte auch zum preußischen Adel, war aber männlich. Soll es ein Denkmal geben? Oder am besten gar keine Ehrung im öffentlichen Raum? Der Rücklauf sei bisher gut, heißt es vom beauftragten Institut Asum, täglich gingen stapelweise Briefe ein. Noch bis zum 24. November können die AnwohnerInnen ihre Meinung kundtun.

Spricht sich in der Befragung eine Mehrheit für die Umbenennung des Mariannenplatzes aus, dürfte die früher oder später kommen. Auch in der Vergangenheit hat der Bezirk bereits Ausnahmen vom Frauengebot gemacht: Rudi Dutschke wurde auf Anregung der taz auf den Schild gehoben, nach Silvio Meier heißt inzwischen ebenfalls eine Straße. Und Rio Reiser war immerhin schwul.

14 Nov 2018

AUTOREN

Antje Lang-Lendorff

TAGS

Rio Reiser
Ton Steine Scherben
Straßennamen
Kreuzberg
Myfest
Myfest
Myfest
Ton Steine Scherben
Silvio Meier

ARTIKEL ZUM THEMA

1. Mai Kreuzberg: Mehr Politik, weniger Dreck

Noch eine Runde: Bürgermeisterin Monika Herrmann hat sich erneut mit Anwohnern getroffen, um den 1. Mai zu planen. Langsam wird's konkret.

Umfrage in Berlin-Kreuzberg: Myfest ja, aber bitte anders

AnwohnerInnen im östlichen Kreuzberg wollen am 1. Mai ein Fest mit stärkerem Kiezbezug. Die Einzäunung des Görlitzer Parks kommt nicht gut an.

taz-adventskalender „Frohe Botschaft“ (7): Der König von Kreuzberg

Ja, die KreuzbergerInnen wollen gerne, dass in ihrem Stadtteil an Rio Reiser, den Sänger von Ton Steine Scherben, erinnert wird – belegt eine Anwohnerbefragung.

Silvio-Meier-Demo in Berlin fällt aus: Nur ein stilles Gedenken

Am 26. Jahrestag der tödlichen Messerstiche gegen Silvio Meier wird es keine Demo mehr geben. Die Übergabe der Organisation an Jüngere ist gescheitert.

Straße für Silvio Meier: Das Leben toter Helden

Die Gabelsberger Straße wird umbenannt: Nach Silvio Meier, 1992 von Neonazis ermordet. Warum das wichtig ist, schreibt Dirk Moldt, ein Freund Meiers – der die Idee lange ablehnte.

Ehrenmord: Eine Straße zum Gedenken

Anlässlich des fünften Todestags von Hatun Sürücü fordern Freunde und Verbände, eine Straße nach der Ermordeten zu benennen. Doch das ist langwierig.

Straßenumbenennung: Weg frei für Kämpferin gegen Rassismus

Das Gröbenufer in Kreuzberg wird am Mittwoch nach May Ayim benannt. Entwicklungspolitische Gruppen fordern Änderung weiterer Straßennamen mit Kolonialbezug.