taz.de -- WM-Weblog „Buterbrod und Spiele“: Tief im Osten

Die WM-Karawane tourt durch Russland. Durch ganz Russland? Die Blogger von „Buterbrod und Spiele“ gehen dahin, wo es kaum Fans gibt.
Bild: Nichts los: Einer der Orte, die von den „Buterbrod-und-Spiele“-Bloggern bereist werden

Die ganze Sportwelt schaut während dieser Wochen nach Russland. Jeder Spielort, jedes Stadion, jedes Spiel und jeder Spieler wird analysiert und durchleuchtet. Fans werden befragt, die Stimmung eingefangen, Hintergrundberichte gesendet. [1][Russland ist Fußball und Fußball ist Russland] – zumindest im westlichen Teil des Landes. Alle Spielorte während dieser WM sind westlich des Ural-Gebirges, also im europäischen Teil Russlands. Moskau, St. Petersburg, Kasan, Sotschi. Was ist mit dem Osten? Haben die Leute überhaupt Lust auf die Weltmeisterschaft in „ihrem“ Land?

Genau auf diese Fragen geht [2][der Blog „Buterbrod und Spiele“] ein: Moritz Gathmann, Autor, und Christian Frey, Fotograf, wollen nicht den alltäglichen Fußballzirkus beobachten, sondern steigen bei der WM im Osten des Landes ein. Es ist eine Reise von Jakutien, an der Grenze Russlands zu Alaska, bis nach Moskau, dem Hotspot und WM-Zentrum im Westen. Rund 20 Stunden Flugzeit trennen diese Städte.

In Regionen wie Sibirien ist der Fußball nichts weiter als ein Nebenprodukt. Wegen der Zeitverschiebung laufen die Spiele in der tiefen Nacht; der Osten wird quasi wegretuschiert. Die beiden Blogger treffen in den örtlichen Bars Mädchen, die Fußball schauen, während Jungs auf der Playstation Eishockey spielen und das Erreichen des Achtelfinales für Russland nickend zur Kenntnis nehmen.

Die beiden Russland-Interessierten befinden sich zurzeit im Zug von Taischet nach Omsk. 30 Stunden Zugfahrt, ohne Internetverbindung. Klingt hart, ist es in der Tat auch. Vor allem, am in den Tagen zuvor bereits 56 Stunden Zug fahren musste. Ihre Arbeit ist „nunmal Arbeit“, sagt Gathmann. Doch lange Zugfahrten können auch positive Sachen besitzen: „Wir erleben sehr viel, lernen sehr viele Menschen und ihre Geschichten kennen, und manchmal kommen wir gar nicht hinterher, das alles aufzuschreiben. Aber gerade dazu ist das Zugfahren ohne Internet sehr gut.“

Es kommt zudem nicht jeden Tag ein Artikel auf [3][„Buterbrod und Spiele“] online, manchmal sind es auch Bilderstrecken oder Videos. So können Gathmann und Frey flexibler arbeiten und stehen nicht jeden Tag unter Druck.

Warum nicht auch Katar?

Gathmann war schon einmal in Russland. Genauer gesagt: für fünf Jahre. Zwischen 2008 und 2013 lebte er dort und stellt jetzt fest, dass sich „natürlich was verändert hat“. Der Ukraine-Konflikt habe seine Spuren hinterlassen, als Journalist komme man nicht um Diskussionen herum, auch die Staatspropaganda wirke sich auf die Russen aus. Speziell für Gathmann, der auch aus der Ukraine berichtet hat, ist das ein schwieriges Thema.

Dennoch haben die beiden Blogger schon jetzt ein positives Bild von Russland. „Russland ist immer eine Reise wert“, sagt Gathmann. Vielleicht kommen die beiden wieder ins Land zurück: „Es gibt viele Ecken, die wir noch nicht gesehen haben. Zudem haben wir einen Haufen neuer Kontakte und Einladungen.“

Wie geht es jetzt weiter? Erst einmal geht ihre Reise nach Moskau. Und danach? Die nächste WM findet im Jahr 2022 in Katar statt. „Warum nicht auch Katar? Andererseits: So klein wie Katar ist, wird das Verhältnis zwischen Journalisten und Einwohnern derart sein, dass man Schlange für die Interviews stehen muss.“

Ob die beiden weitere Projekte realisieren können, hängt auch vom Geld ab. „Buterbrod und Spiele“ ist [4][ein Projekt, das sich aus Spenden finanziert].

Und warum „Buterbrod“? Warum dieser auffällige Rechtschreibfehler? „Es ist“, sagt Gathmann, „die direkte Transkription der russischen Schreibweise.“ Ein Wort, das aus dem deutschen ins russische übergegangen ist. Wie Buchhalter oder Schlagbaum.

30 Jun 2018

LINKS

[1] /WM-taz-2018/!t5476467/
[2] http://www.buterbrod-und-spiele.de/
[3] http://www.buterbrod-und-spiele.de/
[4] http://www.buterbrod-und-spiele.de/live-crowdfunding/

AUTOREN

Jaris Lanzendörfer

TAGS

Frauen-WM 2019
WM-taz 2018: Neben dem Platz
Russland
Sibirien
Frauen-WM 2019
Jung und dumm
Frauen-WM 2019
Der Hausbesuch

ARTIKEL ZUM THEMA

Kolumne Russia Today: Russland ist im Paradies angekommen

Nur der Ferienmythos Sotschi konnte der Ort sein, an dem das russische Team diese WM beendet. Die Realität vor Ort ist wenig glamourös.

Kolumne „Jung und dumm“: Fußball ohne Ende

Stellen Sie sich vor, es wäre WM in Russland und keiner guckt zu. Das wäre konsequent. Das Problem ist nur: Niemand ist konsequent.

Politische Justiz in Russland: Der Tod ist kein Spiel

Der in Sibirien inhaftierte ukrainische Dokumentarfilmer Oleg Senzow befindet sich seit 36 Tagen im Hungerstreik. Der Fall belastet Wladimir Putins WM.

Der Hausbesuch: Große Liebe Sibirien

Konstantin Milash lebt in der kleinsten Stadt Baden-Württembergs. Eigentlich kommt er aus Sibirien – und will zurück.