taz.de -- Umsetzung der Justizreform in Polen: Richterin ignoriert ihre Entlassung

Die polnische Richterin Malgorzata Gersdorf widersetzt sich ihrer Entmachtung. Doch ob ihr Kampf Erfolg haben wird, ist zweifelhaft.
Bild: Malgorzata Gersdorf ignoriert ihre Zwangspensionierung und geht zur Arbeit

Warschau taz | Seit Monaten erklärt Malgorzata Gersdorf, die Präsidentin des Obersten Gerichts in Warschau, immer wieder die Grundregeln eines demokratischen Rechtsstaats – in den Medien, im Parlament und auch auf zahlreichen Demonstrationen. Doch nun scheint es, als hätte die 65-Jährige ihren Kampf für die Unabhängigkeit der Gerichte verloren.

Am Mittwoch trat das [1][Gesetz zur Zwangspensionierung der Richter am Obersten Gericht in Kraft]. Statt mit 70 Jahren sollen die hochspezialisierten und erfahrenen Richter bereits mit 65 ausscheiden. Auch Gersdorf soll ihren Posten als Präsidentin des Obersten Gerichts, wie das Berufungsgericht der zweiten Instanz in Polen heißt, räumen.

Die nationalpopulistische [2][Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) scheint zu triumphieren]. Doch die unbequeme Richterin gibt noch nicht auf. „Dies ist verfassungswidrig“, sagt Gersdorf. Am Mittwoch erschien sie gegen 8.15 Uhr zur Arbeit, obwohl sie seit Mitternacht formell im Ruhestand sein müsste. Im Fernsehen war zu sehen, wie sie den Obersten Gerichtshof betrat.

Sie verweist auf Artikel 183, in dem ganz klar von einer „sechsjährigen Amtszeit“ die Rede ist. Erst vor vier Jahren wurde Malgorzata Gersdorf zur Vorsitzenden des Obersten Gerichts in Polen ernannt. Dieses urteilt auch darüber, ob Wahlen und Referenden gültig sind. Die Jura-Professorin ist die erste Frau auf diesem Posten.

Sorge um Unabhängigkeit der Gerichte

In Interviews hat sie mehrfach vor den „aggressiven Kampagnen“ der Regierung gegen Polens Richter gewarnt. Aber das wird in Zukunft niemanden mehr interessieren, wenn sie ihr Amt verliert. Vergessen auch wären ihre Warnungen vor den neu eingesetzten Richtern, die der Regierungspartei dankbar für die Karrierechance seien und daher Weisungen des Justizministers zumindest nicht vor vornherein als Einmischung in die Unabhängigkeit der Gerichte abtun würden.

Gersdorf ist schon privat sehr eng mit dem Justizwesen verbunden. Seit dem Jahr 2000 ist sie mit dem ehemaligen Verfassungsrichter Bohdan Zdziennicki verheiratet. Aus erster Ehe hat sie einen heute erwachsenen Sohn, der ebenfalls eine akademische Karriere als Jurist an der Warschauer Universität anstrebt.

1981 hatte sie promoviert. Als Expertin für Arbeitsrecht war Gersdorf von 2003 bis 2005 Mitglied im renommierten Rat für Gesetzgebung, der die Regierung juristisch beriet. 2015 übernahm sie an der Fakultät für Recht und Verwaltung der Uni Warschau einen Lehrstuhl.

Politisch hatte sich Gersdorf früh engagiert. Schon 1980 trat sie der Freiheits- und Gewerkschaftsbewegung Solidarność bei, die ein Jahrzehnt später maßgeblich zum Sturz der Kommunisten beitrug.

Im Verhältnis zur PiS ließ sie später immer wieder Abgrenzung erkennen. Allerdings bekannte sie in einem Interview auch, dass sie sich mit dem verstorbenen Bruder des aktuellen PiS-Chefs, Jarosław Kaczyński, Expräsident Lech Kaczyński, immer gern unterhalten habe. Mit Jarosław gehe das nicht.

5 Jul 2018

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Gabriele Lesser

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