taz.de -- Interview Hilfsaktion für Roma-Familie: „Damit sie nicht hungern müssen“

Trotz Berlinale-Auszeichnung konnte der Laiendarsteller Nazif Mujic der Armut nie entkommen. Dann starb er. Nun sammelt ein Journalist für die Hinterbliebenen.
Bild: Szene aus „Aus dem Leben eines Schrottsammlers“: Nazif Mujic (l.) neben Senada Alimanovic und Semsa Mujic

Als die taz Nazif Mujic im Februar 2014 zum ersten Mal i[1][n einer Flüchtlingseinrichtung] in Berlin Spandau traf und seine Geschichte bekannt machte, hatte er, ein Rom aus Bosnien, noch große Hoffnungen. Mit seiner Frau Senada und den drei Kindern, Šemsa, Sandra und Danis war er nach Deutschland zurückgekehrt, ein Jahr nachdem ihm dort der Preis der Berlinale als bester Schauspieler verliehen worden war. Im Film „Aus dem Leben eines Schrottsammlers“ von Oscarpreisträger Danis Tanović hatte er sich selbst gespielt: Einen Müllsammler, der in seiner Armut beinahe seine Frau verliert. Nun, zurück in Berlin, war er entschlossen seine Trophäe, den Silbernen Bären [2][zurückzugeben]. Als Gegenleistung forderte er etwas, was er seinen Kindern schuldig zu sein glaubte: Ein gutes Leben, eine Zukunftsperspektive. Im Februar dieses Jahres wurde der 48-jährige Diabetiker [3][tot in seiner Wohnung aufgefunden]. Der Schock bei seiner Witwe Senada und den mittlerweile vier Kindern sitzt tief. Vor allem aber treibt Senada die Sorge um, wie sie, die Analphabetin sich und die Kinder ernähren soll. Der Journalist Zoran Solomun, der die Familie lange begleitet hat, hat deshalb eine Hilfsaktion gestartet.

taz: Wie geht es der Familie von Nazif Mujic seit seinem Tod im Februar 2018?

Zoran Solomun: Der Tod war für sie ein Schock. Nazif hatte zwar Diabetes und er war ein starker Raucher, aber er war immerhin erst 48 Jahre alt, das kam total überraschend. Natürlich hat seine Armut eine große Rolle gespielt, Sorgen und Mühe den Alltag zu meistern. Letztlich sind es eben auch genau diese Sorgen gewesen, die ihn zugrunde gerichtet haben. Jetzt steht die Familie noch schlechter da als zuvor. Nazifs Witwe Senada ist 38 Jahre alt und war in ihrem Leben nicht einen Tag in der Schule, sie kann kaum schreiben. Die vier Kinder, Šemsa (13), Sandra (12), Danis (5) und Mirela (1) leiden natürlich am meisten. Šemsa ist in ihrer Schulklasse das einzige Romamädchen und wird gemobbt. Nazif hatte eigentlich vorgehabt, sie in eine andere Schule zu geben. Wissen Sie, Bosnien ist ein unglaublich armes Land, komplett vergessen von Europa. Jährlich verlassen 80.000 Qualifizierte das Land, bei einer Bevölkerung von weniger als drei Millionen Menschen. Und Senada weiß genau, wie es um ihre Situation bestellt ist, dass es keine Arbeit gibt. Und ob sie die Kraft hat, bei all den Problemen noch auf die Schulbildung ihrer Kinder zu achten, ist die große Frage.

Nazif Mujic hat mir in einem Interview gesagt, das wichtigste sei ihm, dass seine Kinder später nicht sagen müssten, „Unser Papa ist der beste Schauspieler, aber uns hat er nichts hinterlassen“. Wieso hat er es trotz all der Anstrengungen nicht geschafft, der Armut zu entfliehen?

Da ist natürlich Diskriminierung im Spiel. Senada hat mal zu mir gesagt, wenn diesen Berlinale-Preis ein Moslem, ein Kroate oder ein Serbe bekommen hätte, dann wäre ihm geholfen worden. Dann hätte ihm jemand ein Auto gestellt, damit er Taxi fahren kann oder für 2000 Euro eine Imbissbude gekauft oder eine Wohnung besorgt. Im Vielvölkerstaat Bosnien hat jede ethnische Gruppe eine nationalistische Lobby. Die Roma haben keine Lobby. Ich bin sicher, dass Senada das richtig einschätzt. Als Nazif zurück nach Bosnien kam, hat ihm ein Politiker einen Job als Müllmann gegeben. Als Müllmann! Obwohl er einen „Silbernen Bären“ nach Bosnien gebracht hat. Nur weil er ein Roma war.

Wie ist denn die Situation von Roma derzeit in Bosnien?

Die Roma, die in den Städten leben, sind zum Teil ganz gut in die Gesellschaft integriert. Aber die, die in abgelegenen Dörfern leben, wie die Mujics in ihrem Dorf Svatovac, die sind arm, leben ohne Infrastruktur und isoliert, fast wie in Ghettos. Natürlich ist da auch eine bestimmte Art der Roma-Kultur viel stärker ausgeprägt. Das heißt, es gibt bei den Leuten einen gewissen Fatalismus, sie denken „was kommt, kommt von Gott“ und das akzeptieren sie. Sie identifizieren sich auch häufig mit ihrer Rolle, als Bürger zweiter Klasse, oder besser gesagt: sie resignieren.

Als die taz Anfang 2014 über das Schicksal von Nazif Mujic berichtete, meldeten sich viele Leser*innen mit der Frage, wie man der Familie helfen kann. Haben Sie eine Antwort?

Ich möchte Menschen dazu motivieren, für die nächsten paar Jahre jeden Monat einen kleinen Betrag zu spenden. Wenn man 20, 30 Leute hat, die, sagen wir, 10 Euro auf ein extra von mir eingerichtetes Konto überweisen, dann ist zumindest sichergestellt, dass Senada und die Kinder nicht hungern müssen. Sollten wir mehr bekommen, kann man überlegen, ob man ab und zu Kleidung und Schulmaterial kauft. Das ist auch der wichtigste Teil unserer Aktion, dass die Kinder in die Schule gehen. Wir planen, die Familie regelmäßig zu besuchen und dann über eine Facebook Seite Fotos und Informationen zu veröffentlichen.

Einige wenige Kritiker hatten über taz.de zu Bedenken gegeben, dass es ungerecht sei, wenn man einer Familie helfe, nur weil der Vater berühmt war, und Tausende andere lässt man in Armut leben. Wie stehen Sie dazu?

Ganz ehrlich, ich verstehe die Frage nicht: Natürlich kann man nicht allen Menschen helfen. Ich mache das, weil ich die Familie kenne. Nazif war ein sehr charmanter Mensch, ich habe ihn sehr gemocht und es hat mich auch schwer getroffen, als er gestorben ist. Er hat sich um die Kinder gekümmert und sie beschützt. Jetzt sind sie schutzlos.

Wer spenden möchte, mailt an: solomun@ohnegepaeck.com

16 May 2018

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AUTOREN

Sunny Riedel

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